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INITIATIVE/258: Agrar-Umweltstandards beibehalten! Umweltverbände übersenden Offenen Brief (WWF)


WWF Pressemitteilung - 25. Juli 2022

Agrar-Umweltstandards beibehalten!

Vor Sonder-AMK: Umweltverbände übersenden Offenen Brief an Agrarministerinnen und -minister


Berlin, 25.07.2022: Angesichts der jüngsten Ankündigung der EU-Kommission, Umweltstandards innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auszusetzen, wenden sich deutsche Umweltverbände im Vorfeld der Sonder-Agrarministerkonferenz am 28. Juli an Bundesminister Özdemir und die Agrarministerinnen und Agrarminister der Länder. BUND, DNR, DUH, NABU sowie WWF Deutschland fordern in einem offenen Brief dazu auf, die Vorschläge der EU-Kommission mit Nachdruck zurückzuweisen und in Deutschland jetzt einen Prozess für eine konsequente und vollständige Reform der GAP ab 2028 einzuleiten.

In dem Schreiben unterstreichen die zeichnenden Verbände die Wirkungslosigkeit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Kampf gegen die sich verschärfende Klima- und Biodiversitätskrise. Agrar- und Ernährungssysteme werden stetig anfälliger für Krisen und Ausfälle. Der überwiegende Teil der produzierten Agrarrohstoffe sei derzeit überdies für die tierische Produktion bestimmt oder fließe in "ineffiziente Technologien wie die Herstellung von Agrokraftstoffen", so die Verbände. Massiv kritisieren sie die Ankündigung der EU-Kommission, wichtige Umweltstandards, wie die Regelung GLÖZ 7 zum Fruchtwechsel und die Regelung GLÖZ 8 zu nichtproduktiven Flächen und Landschaftselementen, für ein Jahr auszusetzen. Dies sei angesichts der Biodiversitäts- und Klimakrise genau der falsche Weg, da die Wirkung auf die Erträge nur sehr gering ist, der ökologischer Schaden sich aber auf Jahre auswirkt, so die Verbände.

"Klima-, Arten- und Hungerkrise dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen Biodiversitäts- und Klimaschutz mehr denn je, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten", sagt Johann Rathke, Koordinator für Agrarpolitik bei WWF Deutschland. Es sei unverantwortlich, die derzeitig angespannte Versorgungslage als Vorwand zu nehmen, um die wenigen Umweltstandards zu schleifen. Die Agrarministerinnen und Agrarminister müssen endlich parteipolitische Befindlichkeiten ablegen und sich einer ernsthaften und sachlichen Problemlösung zuwenden, fordert Rathke für den WWF. "Zweifellos ist die Situation schwierig, weil es sich um eine vielschichtige Krise handelt. Aber die Empfehlungen der Wissenschaft sind eindeutig. Wir brauchen mehr Arten- und Klimaschutz in Deutschlands und Europas Landwirtschaft und den Abbau geopolitischer Hemmnisse für eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln auf globaler Ebene", so Rathke.

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Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Deutscher Naturschutzring (DNR)
Deutsche Umwelthilfe (DUH)
NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.
WWF Deutschland

An die Ministerinnen und Minister,
sowie die Senatorinnen und der Senator
der Agrarressorts des Bundes und der Länder

Berlin, 25. Juli 2022

Offener Brief: Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik in Deutschland

Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir,
sehr geehrte Ministerinnen und Minister der Länder,
sehr geehrte Senatorinnen, sehr geehrter Herr Senator,

der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat weltweit zu ernsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verwerfungen und großer Verunsicherung geführt. Die Versorgungsfähigkeit mit Lebensmitteln und der drohende Hunger von Millionen Menschen sind zu einem perfiden geopolitischen Machtinstrument geworden. Einmal mehr hat uns diese Situation die Anfälligkeit und Schieflage unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems vor Augen geführt. Der überwiegende Teil der produzierten Agrarrohstoffe ist für die tierische Produktion bestimmt oder fließt in ineffiziente Technologien wie die Herstellung von Agrokraftstoffen. Globale Abhängigkeiten von Lebensmittel- und Rohstoffimporten verschärfen die Versorgungslage von vielen Ländern und verhindern die Entwicklung einer eigenständigen und resilienten Landwirtschaft. Zugleich erleben wir einen nie dagewesenen Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft und dramatische Auswirkungen des Klimawandels. Diese Entwicklungen wirken sich bereits unmittelbar auf die landwirtschaftliche Produktion aus, haben längst existenzielle Folgen und verschärfen insgesamt die Anfälligkeit unseres Agrar- und Ernährungssystems um ein Vielfaches. Es ist seit langem wissenschaftlicher Konsens, dass die Produktionsfähigkeit der Landwirtschaft von multiplen Krisen gefährdet ist.

Angesichts dieser dramatischen Situation stellen wir fest, dass die darauf ausgerichteten politischen Instrumente nicht ansatzweise ihre Wirkung entfalten. Besonders die ab 2023 geltende Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wird dem Handlungsbedarf nicht gerecht. Umso schwerwiegender würde sich die nun von der Europäischen Kommission vorgeschlagene einjährige Aussetzung der GLÖZ-Standards 7 (Fruchtwechsel) und 8 (Nichtproduktive Flächen und Landschaftselemente) auswirken. So ist insbesondere bei GLÖZ 8 der produktive Mehrwert gering, der ökologische Schaden aber auf mehrere Jahre hin groß. Zugleich ist festzustellen, dass eine geringfügige Erhöhung der ohnehin schon vergleichsweise hohen Getreideerträge in Deutschland durch klimabedingte Mindererträge, wie wir sie auch dieses Jahr erlebten, kompensiert wird. Nichtzuletzt verdeutlicht die am 22. Juli 2022 geschlossene Vereinbarung zum Abtransport landwirtschaftlicher Güter aus dem Kriegsgebiet die Relevanz der geopolitischen Rahmenbedingungen, wenn auch sich dieser Vertrag erst bewähren muss. Das Aussetzen notwendiger ökologischer Standards, die zur Stabilisierung der Landwirtschaft inmitten der Biodiversitäts- und Klimakrise dienen, ist also gerade deshalb eine kontraproduktive Entscheidung und widerspricht massiv den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft. Sie erhöht die Fragilität von Ökosystemen und entzieht so der Transformation des Agrarsektors mittelfristig die Grundlage. Wir bitten Sie aus diesen Gründen, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Aussetzung von GLÖZ 7 und GLÖZ 8 mit Nachdruck zurückzuweisen.

Wir fordern Sie auf, sich bei der Sonder-Agrarministerkonferenz am 28. Juli 2022 mit einem starken Signal zu einer wirklichen Transformation des Agrar- und Ernährungssystems zu bekennen und vor dem Hintergrund bereits jetzt einen Prozess für eine konsequente und vollständige Reform der GAP ab 2028 einzuleiten. Wir bitten Sie eindringlich, in dieser Situation den parteipolitischen Wettbewerb zurückzustellen und gemeinsam konstruktiv an langfristig tragfähigen Lösungen zu arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Bandt
Vorsitzender
Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland (BUND)

Kai Niebert
Präsident
Deutscher Naturschutzring (DNR)

Sascha Müller-Kraenner
Bundesgeschäftsführer
Deutsche Umwelthilfe (DUH)

Leif Miller
Bundesgeschäftsführer
NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.

Christoph Heinrich
Geschäftsführender Vorstand
WWF Deutschland


https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Politik/Offener-Brief-Umweltverbaende-GAP.pdf

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Quelle:
WWF Pressemitteilung, 25.07.2022
Herausgeber: WWF Deutschland
Reinhardtstraße 14, 10117 Berlin
Tel.: 030 311 777 - 0, Fax: 030 311 777 - 603
E-Mail: info@wwf.de
Internet: www.wwf.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 26. Juli 2022

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