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ARTENSCHUTZ/286: Wehrlos - Nashörner gehören zu den schutzbedürftigsten Tieren auf unserem Planeten (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 2/2022
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Wehrlos

von Katharina Hennemuth, WWF


Mit ihrem massigen Körper und den großen Hörnern wirken Nashörner oft, als könnte ihnen nichts und niemand etwas antun. Doch tatsächlich gehören sie zu den schutzbedürftigsten Tieren auf unserem Planeten. Vor allem die Wilderei in Afrika bedroht nach wie vor ihre Bestände.

"Nashörner sind faszinierende Geschöpfe, die jeden Menschen tief berühren, der sich mit ihnen befasst."
Katharina Hennemuth, WWF

Nashörner gibt es seit etwa 50 Millionen Jahren. Die Vorfahren der heutigen Rhinozerosse waren in vielen Arten weit über die Erde verteilt. Auch in Europa und Nordamerika lebten sie. Viele sahen noch nicht so aus wie heute - manche hatten nicht mal ein Horn. Heute sind von dieser Vielfalt noch fünf Arten übrig geblieben: Java-Nashorn, Sumatra-Nashorn und Panzernashorn in Asien sowie Spitz- und Breitmaulnashorn in Afrika. Drei der fünf Arten sind vom Aussterben bedroht. Es liegt heute in unserer Hand, ob und wie die Lebensgeschichte der Nashörner weitergeht. Tatsache ist: Die zweitgrößten Landtiere der Erde sind sehr wichtig für die Ökosysteme, in denen sie leben. Darüber hinaus sind sie faszinierende Geschöpfe, die jeden Menschen tief berühren, der sich mit ihnen näher befasst.


Landschaftsgestalter und Schildkrötenfreunde

Nashörner gehören zu den Schlüsselarten, die ihre Umgebung in herausragendem Maße prägen. Damit schaffen sie die Lebensbedingungen für viele andere Arten. Breitmaulnashörner etwa leben in den Savannen Afrikas und fressen das Gras so rasenmäherkurz am Boden ab, dass sie die Flächen offen halten und das Wachstum bestimmter Gräserarten begünstigen. Und diese wiederum sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für andere Pflanzenfresser wie zum Beispiel Gnus. Grasflächen sind außerdem bei Buschbränden Rettungsinseln für Tiere wie Schildkröten, die nicht schnell genug fliehen können, denn auf den kurz gefressenen Flächen kann sich das Feuer nicht ausbreiten. So gesehen sind Nashörner durchaus Schildkrötenfreunde. Daneben graben sie mit ihren Hörnern Wasserstellen frei, wenn sie verschlammen. Auch das kommt anderen Tieren zugute. Nashörner produzieren eine ganze Menge Dung. Von ihm ernähren sich Insekten - wovon auch insektenfressende Tiere profitieren. Rhinos haben sogar eine "eigene" Fliege, die zur Fortpflanzung die Unpaarhufer benötigt (die Nashorn-Dasselfliege). Außerdem gehören Nashörner - wie Elefanten - zu den letzten noch lebenden Tierarten, die über eine Tonne Lebendgewicht auf die Waage bringen und sich von rein pflanzlicher Kost ernähren. Ohne Frage also: Nashörner sind wichtige Elemente eines komplexen Ökosystems.


Wo die Wilderer wüten

In Südafrika leben mit Abstand die meisten Nashörner auf diesem Planeten. Dort finden sich drei Viertel der afrikanischen Bestände. Hier wurden auch Anfang des 20. Jahrhunderts die letzten Vertreter des südlichen Breitmaulnashorns gefunden. Damals sollen weniger als 100 Tiere überlebt haben. Aus diesem Bestand wurde die Unterart in mühevoller Naturschutzarbeit über die vergangenen 100 Jahre wieder aufgebaut. Mit Erfolg: 2012 gab es afrikaweit wieder mehr als 21.000 Tiere. Doch die seit über zehn Jahren heftig wütende Wilderei macht diesen hart erkämpften Erfolg allmählich wieder zunichte. 2017 wurden nur noch etwas mehr als 18.000 Breitmaulnashörner gezählt - ein Verlust von 15 Prozent. Es ist zu befürchten, dass sich der Abwärtstrend weiter fortgesetzt hat. Aktuelle Bestandszahlen wird es voraussichtlich kurz vor oder nach Erscheinen dieses Magazins geben. Diese finden Sie auf wwf.de/nashorn.

Auch das vom Aussterben bedrohte Spitzmaulnashorn leidet unter der anhaltenden Wilderei. Nachdem in nur 20 Jahren erschreckende 96 Prozent seiner Bestände vernichtet wurden, gab es Mitte der 1990er-Jahre nur noch rund 2500 Tiere. Seitdem wird versucht, die letzten Populationen wieder zu vermehren. Eine wichtige Methode dabei: Tiere aus Schutzgebieten zu entnehmen, in denen die Bestände groß genug sind, und sie in neue Gebiete umzusiedeln, damit auch dort größere Populationen entstehen können. Denn in jedem Gebiet kann nur eine bestimmte Anzahl an Nashörnern leben - Faktoren wie Futter und Platz begrenzen ihre Anzahl. So wurden beispielsweise innerhalb der Provinz KwaZulu-Natal mit Unterstützung des WWF Südafrika Tiere von einem zum anderen geeigneten Schutzgebiet umgesiedelt. Die Methode ist erfolgreich: 2018 gab es in Afrika schon wieder rund 5500 Spitzmaulnashörner.

Doch das Populationswachstum des Spitzmaulnashorns hat sich durch Wilderei spürbar verlangsamt. Wo es die meisten Nashörner gibt, wird auch am meisten gewildert. Südafrika musste in den vergangenen Jahren die Hauptlast der Wilderei tragen: Rund neun von zehn in Afrika gewilderten Tieren wurden hier getötet. 2014 war bisher der traurige Höhepunkt. Mehr als 1200 gewilderte Nashörner wurden in diesem Jahr im Land gezählt. In großen Schutzgebieten wie dem Krüger-Nationalpark geht man sogar von noch höheren Verlusten aus, da einige Kadaver schlicht unentdeckt bleiben. 2021 hat der wohl berühmteste Park Südafrikas und Heimat der größten Nashornbestände der Welt die letzte Zählung veröffentlicht - mit einem sehr schlechten Ergebnis. In weniger als zehn Jahren fiel die Zahl der Nashörner von gut 10.600 um 75 Prozent auf rund 2600 Tiere.


Wachsam bleiben

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Seit 2015 war die Wilderei in Südafrika rückläufig - ein konkreter Erfolg vieler Akteure, zu denen auch der WWF zählt. 2020 wurden noch knapp 400 Tiere als gewildert gemeldet - ein Drittel von 2014. Das ist allerdings vermutlich auch ein Effekt der Corona-Pandemie und der Ausgangsbeschränkungen in Südafrika. Nichtsdestotrotz müssen wir wachsam bleiben: Das Jahr 2021 zeigte mit 451 gemeldeten Wildereivorfällen wieder einen deutlichen Anstieg. Allein im Dezember gab es Meldungen, wonach Wilderer in Südafrika in nur zwei Wochen 24 Tiere töteten. Doch was treibt die Wilderei erneut an? Zum einen die nach wie vor bestehende große Nachfrage nach Rhinohorn in Asien, vor allem in Vietnam und China. Das Horn der Tiere war ursprünglich Teil der dortigen traditionellen Medizin. Man sagte ihm nach, dass es eine kühlende und entgiftende Wirkung habe. Weil Rhinohorn wie menschliche Fingernägel oder Haare vor allem aus Keratin besteht, wurde diese Wirkung jedoch nie bestätigt. Offiziell wurde es in den 1990er-Jahren aus dem Handbuch der traditionellen chinesischen Medizin genommen, weil es von gefährdeten Tierarten stammt.


Tradition und Luxuskonsum

Doch der traditionelle Glaube an die Wirkung besteht bei vielen Menschen weiter. Hinzu kommt, dass sich in jüngster Zeit Gerüchte über die vermeintliche Heilung eines vietnamesischen Regierungsbeamten von Krebs nach der Einnahme von Rhinohorn verbreitet haben. Ob und inwieweit diese Behauptungen zur Eskalation der Nashornwilderei beigetragen haben, ist nicht belegt. Jedoch führte die rapide steigende Nachfrage nach den Hörnern zu massiven Preisanstiegen und somit auch zu verstärkter Wilderei.

Das Horn der Nashörner gehört heute zu einem der teuersten illegalen Wildtierprodukte der Welt. Nicht zuletzt deswegen entstand eine zweite Konsumentengruppe, die Rhinohorn als Statussymbol und Luxusobjekt schätzt, um damit den eigenen Wohlstand zur Schau zu stellen. Aufgrund dieser Nachfrage sind in Afrika seit 2008 mehr als 9000 Nashörner der Wilderei zum Opfer gefallen, rund 8000 davon allein in Südafrika. Und das sind nur die Tiere, von denen wir wissen.

Armut und fehlende Einkommensperspektiven sind zwei der wichtigsten Gründe, weshalb sich Menschen in der Wilderei und im illegalen Handel mit Wildartenprodukten das schnelle Geld erhoffen. Aber auch Korruption, fehlender politischer Wille und unzureichende Kapazitäten bei den Strafverfolgungsbehörden entlang der gesamten Ermittlungskette machen die Wilderei zu einem lukrativen Geschäft mit noch immer vergleichsweise geringem Risiko. Hinzu kommt das Problem vieler Schutzgebiete, in denen Wildtiere nicht ausreichend geschützt werden können. Es mangelt an Ausrüstung, Technologie und vor allem an Wildhüter:innen. Für sie braucht es ein sicheres Arbeitsumfeld, angemessene Ausbildung und das passende Equipment, damit sie professionell und erfolgreich ihre Arbeit machen können.


Der WWF als wichtiger Partner vor Ort

Genau bei diesen Problemen setzt der WWF mit seiner Arbeit in Afrika an. Gerade durch Corona und den Ausfall des Tourismus gerieten viele Schutzgebiete in Not - und sind es bis heute -, weil wichtige Einnahmen wegbrachen. Dank der Unterstützung des Bundesumweltministeriums (BMUV) konnten wir zum Beispiel Reservate mit einem Corona-Nothilfepaket dabei unterstützen, regelmäßige Anti-Wildereipatrouillen am Laufen zu halten, indem wir Benzin für Fahrzeuge und Helikopterstunden sowie wichtige Ausrüstung und Wildhütertrainings finanziert haben.


Wildhüter ausbilden und ausrüsten

Auch auf anderen Wegen machen wir uns für den Schutz der Nashörner stark. Seit Jahren unterstützen wir die Arbeit unserer Kolleg:innen vor Ort, stellen Mittel zum Kauf von Ausrüstung und Trainings für Wildhüter:innen zur Verfügung und fördern den Wissensaustausch und die Koordination zwischen unseren Büros im südlichen Afrika. Denn Wilderei ist ein grenzübergreifendes Problem. Bis heute haben wir mehr als 180 Wildhüter:innen in so wichtigen Bereichen wie Erster Hilfe oder Tatort- und Beweissicherung geschult und ihre Arbeit mit notwendiger Ausrüstung unterstützt.

Einfache Dinge des täglichen Bedarfs machen dabei oft einen großen Unterschied: Funkgeräte etwa, damit Ranger:innen sich bei ihren täglichen Patrouillen verständigen und im Notfall Hilfe holen können. Bereits 2019 haben wir drei Fahrzeuge für eines der wichtigsten Nashornreservate, den Hluhluwe-iMfolozi-Park in Südafrika, angeschafft. Die Kontrollfahrten konnten damit auf einer Fläche von 400 Quadratkilometern verdreifacht und die Reaktionszeiten halbiert werden. Wie wichtig das ist, zeigt ein Fall, bei dem Wildhüter:innen dank eines Fahrzeugs schnell reagieren konnten und einen verdächtigen Wilderer im Besitz von Waffen und Rhinohörnern erwischt haben. Die Verhaftung führte im weiteren Verlauf zur Aufdeckung eines bis dahin unbekannten Wildereirings, der in der Gegend aktiv war. Doch angesichts der erneut ansteigenden Wilderei 2021 dürfen wir in unseren Schutzbemühungen für Nashörner nicht nachlassen.


Die Ärzte von morgen erreichen

Zusätzlich müssen wir noch mehr tun, um die Nachfrage zu senken. In Vietnam fördern wir deshalb die Arbeit mit Universitäten der traditionellen Medizin. Wir wollen die nächste Generation Ärzte erreichen, damit sie künftig kein Rhinohorn mehr als Behandlungsmethode empfiehlt. Durch Aktivitäten wie Online-Workshops, Wettbewerbe und Aktionen in den Ausbildungsstätten haben wir bereits mehr als 10.000 Studierende und Lehrkräfte angesprochen. Eine Befragung vor und nach Kampagnen zeigte, dass 85 Prozent der Befragten in Zukunft keine Produkte aus gefährdeten Wildtieren mehr empfehlen werden. Davor waren es nur 68 Prozent. Das heißt: Die Aufklärungsarbeit des WWF wirkt.

Wichtig sind außerdem die Zusammenarbeit und der Dialog mit politischen Akteuren, Kliniken für traditionelle Medizin und der Pharmaindustrie. Damit wollen wir erreichen, dass bestehende Gesetze effektiv durchgesetzt werden und dass sich politische Akteure und Geschäftsleute nicht am illegalen Geschäft beteiligen. Hierzu wurde zum Beispiel gemeinsam mit dem vietnamesischen Gesundheitsministerium ein Leitfaden für Kliniken entwickelt, der aufzeigt, wie der Konsum und die Verschreibung von Rhinohorn und anderen illegalen Wildtierprodukten eingedämmt werden kann.

Bei aller Projektarbeit behält der WWF mit seiner Arbeit zugleich das große Ganze im Blick: die illegale Rhinohorn-Handelskette, die sich um den halben Globus zieht. An allen Schaltstellen dieses kriminellen Förderbands - vom Schutzgebiet in Südafrika bis zum Schwarzmarkt in Vietnam - setzen wir an und machen es den Täter:innen immer schwerer, ihrem tödlichen Geschäft nachzugehen. Es ist ein zähes Ringen um die letzten Rhinos. Wie Sie ganz aktuell den Nashörnern helfen können, erfahren Sie auf der nächsten Seite.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Das afrikanische Breitmaulnashorn ist ein ausdauernder Savannenläufer. Der Nachwuchs geht dabei meist voraus - mit der wachsamen Rhinomutter als Schutz im Rücken.
  • In Afrika leben neben Breitmaul- auch Spitzmaulnashörner (im Bild): Beide Arten lassen sich vor allem anhand ihrer Oberlippenform unterscheiden. Nashörner prägen durch ihre Lebensweise entscheidend das Ökosystem in ihren Lebensräumen. Bestimmte Pflanzen und Tiere profitieren von den schwergewichtigen Vegetariern.
  • Dieses weibliche Nashorn hat einen brutalen Überfall überlebt. Die Wilderer kamen mit dem Helikopter und sägten dem Tier mit einer Kettensäge sein Horn ab. Dabei verletzten sie die Schädelknochen des Nashorns, das dennoch wie durch ein Wunder überlebt hat.
  • Um Nashörner zu schützen, wird noch immer einigen Tieren das Horn abgesägt. Leider weden sie trotzdem gewildert. Erfolgreicher ist die Umsiedlung von Nashörnern wie sie auch der WWF in Südafrika unterstützt. So hat das dortige Umsiedlungsprogramm maßgeblich dazu beigetragen, dass Nashörnern andernorts neue Lebensräume erschlossen wurden, wo sie sich fortpflanzen konnten.
  • Nashorn-Horn muss dem tödlichen Kreislauf von Angebot und Nachfrage entzogen werden: Hier werden Hörner sichergestellt.
  • Nashörner teilen ihre Savannenreviere mit vielen anderen Arten (Bild oben und rechts). Offene Wasserstellen sind für die Dickhäuter ganz wichtig - nicht nur wegen des Wassers. Sich im Schlamm zu wälzen, hilft, ihre Haut vor Parasiten und Insekten zu schützen. In der Trockenheit tut es auch ein Staubbad. Die Rotschnabel-Madenhacker warnen Nashörner vor herannahenden Menschen (Bild unten).

Steckbriefe zu allen fünf Nashornarten
finden Sie auf wwf.de/rhino-arten


Anmerkung der SB-Redaktion:
zum Thema siehe auch im Schattenblick: "Verhalten zu ändern, braucht Zeit" - Interview von Katharina Hennemuth mit Trinh Nguyen, Länderdirektorin von TRAFFIC Vietnam, über den mühsamen Weg, die Nachfrage nach Nashorn-Horn zu verringern unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Internationales →
FRAGEN/029: Der mühsame Weg, die Nachfrage nach Nashorn-Horn zu verringern (WWF Magazin)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/internat/uifr0029.html

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Quelle:
WWF Magazin 2/2022, Seite 8-11 und 13-17
Herausgeber:
WWF Deutschland
Reinhardtstraße 18, 10117 Berlin
Tel.: 030/311 777 700, Fax: 030/311 777 888
E-Mail: info@wwf.de
Internet: www.wwf.de
 
Die Zeitschrift für Förderinnen und Förderer
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Mai 2022

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