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WALD/210: Grenzenloser Konsum - Wie die Menschheit Wälder ins Burnout treibt (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2021

Grenzenloser Konsum
Wie die Menschheit Wälder ins Burnout treibt

von László Maráz


Beim Waldschutz befassen wir uns in erster Linie mit den Ursachen und Folgen der Zerstörung und Schädigung von Wäldern: Abholzung, Raubbau, Rodung und einer Forstwirtschaft, die zu wenig Rücksicht auf das Ökosystem nimmt. Mit dem Verlust von Lebensraum vieler Menschen, der biologischen Vielfalt und vieler Waldfunktionen. Besonders aufwendig wird es, wenn wir über die Art der Waldnutzung streiten: Zertifizierung der Holznutzung, ökologisch anspruchsvolle Waldbauverfahren bis hin zur naturnahen Wiederbewaldung. Wie sollten Wälder aussehen damit sie die Erdüberhitzung möglichst gut überstehen und zugleich auch unsere Wünsche nach Holz, Trinkwasser und Erholung zufriedenstellen? Da wird eifrig um die besten, ökologischsten Waldbaukonzepte gestritten, erforscht, welche Baumarten besonders "klimastabil" sind - in einem instabilen Klima! Das sind durchaus wichtige Themen. Wir dürfen aber nicht nur am Patienten herumdoktern!


Der Wald soll dies, die Bäume sollen das. Schutzgebiete sollen effizient sein und auf kleinster Fläche alle möglichen Arten schützen, Bäume sollen mit weniger Durst und möglichst mehr Hitzetoleranz wachsen und gedeihen. Neue Baumarten könnten die alten, heimischen ersetzen, wenn jene keine Leistung mehr bringen oder gar absterben. Es geht zuweilen zu wie in einer Firma, die neue Märkte erschließen muss, die von ihren MitarbeiterInnen Höchstleistungen und mehr Überstunden einfordert, die Personal durch LeiharbeiterInnen ersetzt. Viel zu selten werden hingegen die Ursachen infrage gestellt. Die Borkenkäfer haben die Bäume nicht abgesägt und abtransportiert. Die Klimakrise ist nicht vom Himmel gefallen. Der Wald hat die Klimakrise nicht verursacht, warum sollte er für deren Bekämpfung verantwortlich gemacht werden? Warum sollen Bäume die Treibhausgase schlucken, die wir mit unseren Fahrzeugen, Öfen und Fabriken emittieren?

Wir Menschen müssen uns ändern

Solange wir die wahren Ursachen der globalen Wald- und Umweltkrise nicht benennen und abstellen, wird sich nichts zum Guten wenden. Und solange wir nicht infrage stellen, warum wir beispielsweise über 220 Kilo Papier pro Jahr verbrauchen, oder ein Recht auf "bezahlbaren Strom" haben sollten, werden wir die Wälder weiter ins Verderben hetzen. Es reicht auch nicht, den Klimaschutz nur von der Regierung einzufordern. Wobei die meisten Akteure nicht mal dies tun. Ein Blick auf die Internetseiten des Deutschen Forstwirtschaftsrates oder der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände [1] genügt: Sie müssten den Kampf gegen die Klimakrise am vehementesten führen, echter Klimaschutz ist die Voraussetzung für das Überleben der Wälder. Doch weder benennen sie die Ursachen der Klimakrise, noch fordern sie Regierung, Wirtschaft und Gesellschaft auf zu handeln. Das darf uns als zivilgesellschaftlichen Waldaktiven nicht passieren. Aber es wird zu oft versäumt, Klimaschutz als Grundvoraussetzung dafür einzufordern, dass unsere Ökosysteme überhaupt überleben und Schutz- und Nutzungskonzepte eine Chance zur Verwirklichung bekommen. Gerade in der waldpolitischen Debatte muss man bisweilen den Eindruck gewinnen, dass die Wälder die Erdüberhitzung überstehen, wenn wir sie nur schön ökologisch bewirtschaften oder gar komplett unter Schutz stellen. Das käme nicht nur einer Verharmlosung des Problems gleich. Wenn wir den Klimaschutz unterlassen, können wir auch die Stühle an Deck der Titanic zurechtrücken.

2021 - ein mildes Jahr

Das Jahr 2021 hat unseren Wäldern eine kurze Verschnaufpause beschert, zur Entwarnung gibt es aber keinen Grund. Zum einen hat sich die Situation lediglich nicht weiter verschlechtert. Und zum anderen setzen zu viele der Verantwortlichen ihre Geschäftspraxis weiter fort, die den Wäldern schon vor den drei Hitzejahren zugesetzt hatte. In vielen umwelt- und klimapolitischen Debatten spielen Wälder aber inzwischen eine zunehmend wichtige Rolle. Dank der vielen für den Wald Engagierten, gleich ob ausgewiesene ExpertInnen oder Aktivisten, werden schädliche Entwicklungen im Wald schneller als früher ans Licht der medialen Öffentlichkeit transportiert.

Das Paradoxe: Die geschundenen und stark bedrohten Waldökosysteme werden in sehr vielen Fällen nicht etwa als Patientinnen betrachtet, die Schonung und Rücksichtnahme brauchen. Im Gegenteil: Wälder und ihre Leistungen werden stärker beansprucht als je zuvor. Sie sollen unser Klima retten. Ihr Holz soll energieintensive Bau- und Werkstoffe ersetzen. Wälder sollen Platz machen für neue Windkraftanlagen oder sie werden schon mal für den Bau einer Elektroautofabrik gerodet.

Das widersprüchliche Verhältnis zum Wald

Die Diskrepanz wird sichtbar, wenn man Aussagen betrachtet, die von ein und derselben Person stammen. Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagt zum Beispiel: "Ich liebe den Wald" oder "Der Wald ist unser engster Verbündeter beim Klimaschutz, unsere grüne Lunge." Und kritisiert dann die EU Waldstrategie wegen der darin empfohlenen "einseitigen Betrachtung" der Klima- und Umweltziele. Dahinter steckt das vorrangig wirtschaftliche Interesse vieler WaldbesitzerInnen, Forstorganisationen und PolitikerInnen an dem, was sie in Presseverlautbarungen als nachhaltig bewirtschafteten Wald bezeichnen: Holzproduktion und Holzverkauf. Das Ökosystem mit seinen vielfältigen positiven Wirkungen auf das Gemeinwohl wird immer dann in den Vordergrund gerückt, wenn es darum geht, Hunderte Steuermillionen für die intensive, naturferne und maschinenbetonte Holzproduktion zu erbetteln. Eine Holzproduktion, die zwar hohe Kosten verursacht, wenn man gegen die Natur arbeitet, dafür aber wahrlich zu geringe Einnahmen einbringt, weil Rohholz ein vergleichsweise billiger Rohstoff ist. Besonders augenfällig wird diese Unsinnigkeit in der aktuellen Krise, wenn mehr Geld für die (unnötige) "Entsorgung" aller Schadhölzer aus dem Wald ausgegeben wird, als man für dessen Verkauf bekommt.

Dies führte zu einer Überschwemmung des Holzmarktes mit frischem Rundholz, das nicht schnell genug verarbeitet werden konnte. Die Preise fielen ins Bodenlose. Man kann schon von einer Art Entsorgungsaktionismus sprechen. Es gibt tatsächlich Leute, die behaupten, die toten Bäume würden das Wachstum einer neuen Waldgeneration behindern. Wenn man dafür auch noch Steuergelder erhält, kann man sich diese defizitäre Praxis scheinbar leisten. Die Folgeschäden aber sind immens.

Höchste Prioritäten müssen die Zulassung und die Förderung der natürlichen und naturnahen Waldverjüngung und Waldentwicklung haben. Niemand weiß, welche Baumarten die Klimakatastrophe halbwegs überstehen und ob die Menschheit die Chance haben wird, Holz zu ernten.

Wenn BürgerInneninitiativen in den vergangenen Jahren die Öffentlichkeit wegen brutaler Kahlschläge und von Maschinen zerfahrenen Waldböden alarmierten, konnten solche Fallbeispiele durchaus noch als bedauerliche "Einzelfälle" abgetan werden. Inzwischen gibt es diese Großkahlschläge in vielen Teilen Deutschlands. Die einige Jahrzehntelang verpönte Kahlschlagwirtschaft wird zur täglichen Praxis. Das geht so weit, dass in vielen Regionen vor allem auf den von Dürre und Hitze geschädigten Waldflächen - in den meisten Fällen sind es Nadelbaumplantagen - nicht nur wertvolle dicke Baumstämme verwertet werden. Oft wird auf der ganzen Fläche die gesamte Biomasse entfernt. Baumkronen, kleine Bäume und Sträucher - Biomasse, die sich nicht verkaufen lässt und dringend auf der Fläche bleiben müsste. Bei allem Verständnis für den Versuch einer Begrenzung der wirtschaftlichen Schäden: Solch rücksichtsloses Plündern und Räumen der Flächen führt zur Schaffung von Kahlflächen, Verwüstung der Waldböden und massiven Humusverlusten. Junge Bäume werden Sonne und Wind ausgesetzt, die nahezu vegetationsfreien Flächen speichern kaum Wasser oder Nährstoffe. Der Rest der Vegetation trocknet aus, die aufgerissenen Waldböden verlieren den Humus und große Mengen an Treibhausgasen entweichen in die Atmosphäre.

Das belegt auch eine neue Studie, für die ExpertInnen der Hochschule Eberswalde für Greenpeace Satellitendaten aus den Jahren 2018 bis 2020 ausgewertet haben.[2] Sie zeigen, dass intensiv bewirtschaftete Forste deutlich stärker unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden als naturnahe Wälder. Kahlschläge und die intensive Auflichtung der Kronendächer schwächen die Klimaanpassungsleistungen der Wälder und führen zu einer deutlichen Erhöhung der Umgebungstemperaturen. Laubwälder und die naturnahen Wälder in Nationalparks kamen bisher vergleichsweise besser durch die Dürrejahre. Bisher!

Knappheit trotz Kahlschlag

Warum aber sind die Preise für Schnittholz (v. a. Bretter, Balken) und weiter verarbeitete Holzprodukte trotz fallender Rohholzpreise so stark gestiegen, dass schon Rufe nach einem Exportverbot für Rundholz (ganze Stämme) laut wurden? Weil wegen des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 viele Sägewerke und andere holzverarbeitende Betriebe zwei, drei Monate lang geschlossen waren. Dann liefen sie zwar auf Hochtouren, konnten das viele Rundholz aber nicht so schnell verarbeiten, um die Produktionsrückstände aufzuholen. Zumal der Bau- und Renovierungsboom zusätzliche Nachfrage erzeugte, was die Preise in die Höhe trieb.

Ein Rundholzexportverbot hätte an dieser Lage nichts geändert. WaldeigentümerInnen waren froh über jeden Container, der exportiert werden konnte. Kostendeckend war das kaum. In vielen Fällen wäre es profitabler gewesen, das Holz im Wald liegen zu lassen. Und für den Klimaschutz ebenfalls, denn wer Containerware nach China verschiffen wollte, musste zuvor sämtliche Holzschädlinge abtöten. Da dies mit dem extrem klimaschädlichen Sulfurylfluorid geschah [3], verursachte alleine dieser Holzexport im Jahre 2020 Treibhausgasemissionen in Höhe von zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten und damit etwa so viel, wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr.

Wald, Holz und Klimaschutz

Über solche Nebenwirkungen der Holzernte wird kaum berichtet. Die Werbung für mehr Holzabsatz stützt sich derzeit vor allem auf eine Klimaschutzwirkung, die sich nur schwer nachvollziehen und belegen lässt. Zwar gelangt Holz zunächst mit geringem Energieaufwand in die Sägewerke. Zu berücksichtigen sind hier Forstarbeiten, Ernte und Transport. Für Balken und Bretter muss dann nur gesägt und gehobelt werden, auch das braucht nicht viel Energie. Danach wird es aber teuer. Jeder weitere Verarbeitungsschritt kostet Energie: fräsen, verleimen, pressen, transportieren. Für eine Tonne Zellstoff wird ebenso viel Energie benötigt wie für die Herstellung einer Tonne Stahl!

Bleiben wir bei den aus Klimaschutzsicht vorteilhaften Bauholzprodukten, muss über die Bereitstellung hinausgedacht werden. Bei der Substitutionswirkung energieintensiver Werkstoffe durch Holz wird zu Recht davon ausgegangen, dass bspw. Holzbalken Stahlträger ersetzen. Da für die Herstellung eines Balkens weniger Energie benötigt wird wie für einen Stahlträger mit der gleichen Funktion, wird die Differenz dem Holz in Form "vermiedener" Emissionen als Klimaschutzbeitrag angerechnet. Wohlgemerkt, die Emission wird nur vermieden - im Bausektor. Was aber nicht bedeutet, dass dadurch Emissionen aus anderen Sektoren sozusagen aus der Atmosphäre entfernt werden (auch wenn manchmal dieser Eindruck erweckt wird).

Ob das Holzbauwerk ein Stahlbetongebäude ersetzt oder ob es nur zusätzlich errichtet wird, wird nicht ermittelt. Es ist auch fast unmöglich. In der Regel wird ohnehin eine Mischbauweise praktiziert. Da es keine nationalen Obergrenzen für Bauwerke gibt, bleibt auch unklar, ob mehr Holzbau mehr Klimaschutz bedeutet oder ob er nur zusätzliche Baumaßnahmen ermöglicht und damit zusätzliche Emissionen verursacht.

Priorität: natürliche Waldentwicklung

Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Kampagne, mehr und jüngere Bäume zu ernten, damit der junge Wald schneller wächst und schneller Kohlenstoff einlagert, mehren sich.[4] Ein weiterer Grund dafür, sich wichtigeren Aufgaben zuzuwenden, als sich an einer Baustelle zu verkrampfen, wenn es um Klimaschutz geht. Denn am Bau gibt es einen relativ geringen Einfluss auf die Verringerung der Emissionen.

Höchste Priorität müssen die Zulassung und die Förderung der natürlichen und naturnahen Waldverjüngung und Waldentwicklung haben. Niemand weiß, welche Baumarten die Klimakatastrophe halbwegs überstehen und ob die Menschheit die Chance haben wird, Holz zu ernten. Wir müssen uns damit abfinden, was Wälder zu bieten haben. Die umgekehrte Strategie haben wir lange, viel zu lange, verfolgt und sind damit gescheitert.

Der Autor ist Referent für Waldpolitik im Forum Umwelt & Entwicklung und koordiniert dort die Dialogplattforum Wald.

Anmerkungen

[1] https://www.dfwr.de/index.php/klimawandel;
https://www.waldeigentuemer.de/themen/krise-im-wald/
[2] https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/der-wald-deutschland-auf-dem-weg-die-heisszeit
[3] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/borkenkaefer-gas-sulfurylflourid-der-unbekannteklimakiller-a-859c1ccc-77ed-4e22-8650-f9c28c20f48c
[4] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ac30fa


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2021, Seite 2-6
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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