BUND MAGAZIN - 3/2022
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany
Pilze
Kaum bekannt und unterschätzt
Kaum bekannt? Der prächtige Fliegenpilz - Pilz des Jahres 2022 - dürfte den meisten Menschen vertraut sein. Unter seinesgleichen ist er damit eine krasse Ausnahme. Dass die wenigsten von uns mehr als eine Handvoll Pilze bestimmen können, ist nun wirklich schade. Denn dadurch bleibt uns eine unvergleichlich vielfältige und faszinierende Gruppe von Lebewesen weitestgehend verborgen.
Schade und fatal ist das auch für die Pilze selbst und ihre Lebensräume. Die Bedeutung, die sie für die natürlichen Stoffkreisläufe haben, kann gar nicht überschätzt werden. Trotzdem fristen Pilze in der Regel ein Schattendasein, selbst im Naturschutz.
Auf den nächsten Seiten wollen wir Ihnen, passend zur Jahreszeit, einen
Einblick in die fabelhafte Welt der Pilze geben. Wie viele Arten gibt es
bei uns, was zeichnet sie aus? Warum sind viele von ihnen gefährdet? Was
muss zu ihrem Schutz geschehen? Und wo ist der BUND pilzkundlich aktiv?
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PILZE
Verborgene Vielfalt
von Severin Zillich
Überaus formen- und farbenreich präsentiert sich die heimische Pilzwelt. Die Zahl ihrer Arten übertrifft die der Pflanzenarten um ein Vielfaches. Und: Pilze gibt es nicht nur im Herbst und nicht nur im Wald!
Rund um den Wilden See im Nationalpark Schwarzwald liegt der älteste
Bannwald in Baden-Württemberg. Auf etwa 150 Hektar haben pilzkundige Laien
und Fachleute hier jahrelang akribisch nach Pilzen gesucht. Am Ende hatten
sie 723 Arten entdeckt - darunter solche, die noch nirgends sonst in
Deutschland gefunden wurden. In dieser Kernzone des Nationalparks leben
damit zehnmal mehr Pilz- als Pflanzenarten. Ein Verhältnis, das vermutlich
weltweit gilt. Auf drei bis fünf Millionen Arten wird die Gesamtzahl der
Pilze geschätzt. Und die allermeisten sind bis heute nicht wissenschaftlich
beschrieben.
Genaueres ist von der hiesigen Pilzwelt bekannt. Das Bundesamt für Naturschutz geht von rund 14 000 Arten in Deutschland aus. Etwas mehr als 5000 davon sind mit bloßem Auge zu erkennen - vorausgesetzt, sie haben ihre Fruchtkörper aus dem Boden oder Holz geschoben. So auffällig diese »Großpilze« dann vor unser Auge treten, so rasch ist der Zauber oft wieder dahin. Die längste Zeit wirkt das Geflecht jener Fadenwesen unter der Oberfläche, allen Blicken verborgen.
Immerhin lassen sich Pilze nicht nur zur Hochsaison im Spätsommer und Herbst finden. Wer sich gerne regelmäßig Wildpilze brät, kann im Winter Austernseitlinge oder Samtfußrüblinge sammeln und bereits ab April auf Morcheljagd gehen. Nur zu trocken darf es nicht sein. Um einen echten Eindruck von der Mannigfaltigkeit unserer Pilzwelt zu gewinnen, heißt es abzuwarten, bis es im Frühsommer erstmals ergiebig geregnet hat.
Bald danach sprießen die Fruchtkörper meist in großer Zahl aus dem Boden. Selbst wenn wir nur wenige der Pilzgestalten zu bestimmen wissen - allein schon ihre Namen! Judasohr und Krause Glucke, Runzelverpel und Satansröhrling, Schwefelritterling und Totentrompete und Trollhand. Unzählige wunderlich benannte Wesen begegnen uns beim Blättern im Pilzbuch.
Im Wald dann sind all unsere Sinne gefordert. Leuchtet der Täubling vor uns nun kirschrot, blutrot oder weinrot aus dem Moos? Schmeckt sein Fleisch scharf oder mild? Der winzige Helmling daneben, riecht der eher nach Rettich, nach Gurke oder Salpeter? Was ist mit dem merkwürdigen Hut, der kaum aus dem nassen Laub ragt: Fühlt er sich schmierig, klebrig oder schleimig an? Und der Stiel darunter, ist der jetzt schuppig, grubig oder wohl genattert?
Steckbriefe von Pilzen lesen sich wie große Poesie. Und können doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pilze oft schwer zu bestimmen sind. Da ist Ausdauer und Erfahrung gefragt, und nicht selten Feinmotorik. Helfen nämlich die äußeren Merkmale nicht weiter, muss der Fund daheim unters Mikroskop. Mehr als jeder zweite Pilz lässt sich nur mit einem Blick auf die Sporen und andere Mikromerkmale bestimmen.
Nicht wenige schreckt das ab. Wirklich pilzkundige Menschen fehlen in allen Bereichen, sei es an der Uni, in Umweltbehörden, der Forstwirtschaft und selbst den Naturschutzverbänden. Ein Beispiel: Wie fundamental eine vielfältige Pilzflora für das Gedeihen der Bäume ist, dieses Wissen ist noch immer dramatisch unterentwickelt, allen Bestsellern von Peter Wohlleben zum Trotz. Sonst würden nicht schwere Erntemaschinen durch einen Großteil unserer Wälder pflügen.
Von dem bedenklichen Mangel an echten Spezialist*innen abgesehen (die zudem oft in die Jahre gekommen sind): Oberflächlich zumindest erschließt sich die Pracht und Vielfalt der heimischen Pilzwelt auch ohne Mikroskop. Neugierde, etwas Spürsinn und vielleicht eine Lupe haben schon tolle Beobachtungen ermöglicht. Wie viele Arten einen einzigen umgestürzten Baum besiedeln können ...
Überhaupt gibt es kaum Stellen, wo Pilze nicht wachsen. Manche erscheinen auf der Unterseite abgebrochener Äste, andere nur an den Stängeln vorjähriger Brennnesseln, auf alten Kiefernzapfen oder parasitär auf Kartoffelbovisten.
Vielfältig sind zuletzt auch die Lebensräume, in denen unsere Pilze wachsen. Auf waldfreie, aber eben nicht pilzfreie Habitate verweisen Namen wie Acker-Riesenschirmpilz und Heu-Düngerling, Wiesen-Champignon und Feld- Trichterling, Moor-Hallimasch und Sumpf-Saftling, Dünen-Stinkmorchel und Schilfschwindling.
Egal, wo Sie also den Spätsommer und Herbst im Grünen verbringen - wenn es vorher nicht zu trocken war und Sie bereit sind hier und da genauer hinzusehen, werden Sie bestimmt fündig. Ein Gang in die Pilze lohnt fast immer, ob Sie nun für die Pfanne suchen oder ob Sie einfach nur gucken wollen.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
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Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2022, Seite 10-13
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. Dezember 2022
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