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INTERVIEW/058: Antirep2010 - Aktivisten der Basisgruppe Tierrechte (BAT) (SB)


Interview mit Aktivisten der Basisgruppe Tierrechte (BAT) am 9. Oktober 2010 in Hamburg


Jan und Kevin gehören zu den 13 Angeklagten, gegen die vor dem Landesgericht Wiener Neustadt seit dem 2. März 2010 hauptsächlich wegen Mitgliedschaft in einer "Kriminellen Organisation" nach dem 2002 in Kraft getretenen Paragraphen 278a des österreichischen Strafgesetzbuches verhandelt wird. Mit diesem auch als "Mafiaparagraph" bekanntgewordenen Instrument kollektiver Kriminalisierung wird versucht, die legalen Aktivitäten von Tierschutz- und Tierrechtsaktivist_innen mit illegalen Handlungen in Verbindung zu bringen und damit strafbar zu machen. Ähnlich wie beim deutschen Organisationsstraftatbestand nach den Paragraphen 129, 129a und 129b StGB bedient sich der Staat hierbei der Möglichkeit, Menschen aufgrund ihrer sozialen Kontakte und politischen Gesinnung zu verfolgen, ohne daß dem Einzelnen eine konkrete Straftat nachgewiesen werden müßte. Am Rande des Internationalen Antirepressionskongresses 2010 an der Universität Hamburg beantworteten Jan und Kevin dem Schattenblick einige Fragen.

Logo der Basisorganisation Tierrechte (BAT)

Basisorganisation Tierrechte (BAT)

Schattenblick: Wie ist es eigentlich dazu gekommen, daß sich einige der Aktivisten des Tierrechtsprozesses erstmals in U-Haft begegnet sind?

Kevin: Das liegt einfach an dem Konstrukt der "Kriminellen Organisation". Meiner Meinung nach hat man gezielt Leute aus zwei Gruppen genommen, die aus unterschiedlichen Spektren kommen. Zwar haben sie an den gleichen Kampagnen gearbeitet, aber die ermittelnden Beamten und der Staatsanwalt wußten eindeutig, daß sie eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Ideologisch kommen die einen eher aus einem bürgerlichen Lager, während die anderen der Linken angehören. Ich glaube, daß die Ermittlungsstrategie darin besteht, verschiedene Leute zu verhaften in der Hoffnung, daß sie sich gegenseitig belasten, weil die sich untereinander nicht mögen.

SB: Also stammen die Angeklagten aus verschiedensten Ecken der österreichischen Tierschutz-, Tierrechts-, Tierbefreierszene, so daß das Spektrum der betroffenen 13 Angeklagten sozusagen vom bürgerlichen Tierschutz bis zur linksradikalen Tierbefreierszene reicht?

Jan: Das kann man sagen, wobei die Aktionsfelder naturgemäß ähnlich waren wie etwa im Umweltschutz. Auch da gibt es inhaltlich verschiedenste Gruppen, die alle etwas zum Thema Kernkraft machen und ungefähr die gleichen Aktionsformen benutzen wie Demos, Flugblätter, vielleicht zivilen Ungehorsam. Bei den Kampagnen sollen sich natürlich möglichst viele Gruppen mit unterschiedlichen Zugangs- und Aktionsformen beteiligen, um die Effizienz zu steigern. Das ist, wie auch viele andere Demonstrationen von Organisationen wie Greenpeace und Attac, von bürgerlichen bis radikalen Gruppen zeigen, nichts Ungewöhnliches, sondern dem gemeinsamen Anliegen geschuldet, mithilfe verschiedener Zugänge und Aktionsformen zum Ziel zu gelangen. Rein äußerlich schaut es vielleicht gleich oder ähnlich aus, doch wenn man die einzelnen Aktivisten kennenlernt, merkt man, daß sie aus ganz viel verschiedenen Gruppen kommen, die teilweise miteinander zerstritten sind und wo sich sicher nicht alle gegenseitig kennen.

SB: Allerdings scheint erst einmal der Eindruck erweckt worden zu sein, daß eine große Polizeiaktion durchgeführt wurde und die Angeklagten sich kennen müßten oder vielleicht sogar verschworen haben. Verlief die mediale Berichterstattung in etwa so?

Kevin: In der Anfangszeit wurde im Rahmen der Pressearbeit des Innenministerium und der Polizei versucht, das als eine große, kriminelle Organisation zu verkaufen. Seitdem - wir haben jetzt den 52. Prozeßtag - wurde vor Gericht viel widerlegt, so daß dieser Eindruck immer mehr zerfallen ist. Aber im Strafantrag geht man nach wie vor von einer "Kriminellen Organisation" aus, die ein gemeinsames Ziel hat, ohne daß sich ihre angeblichen Mitglieder alle kennen müßten. Tatsächlich wird sogar versucht, den konspirativen Charakter der "Kriminellen Organisation" damit zu belegen, daß sie so angelegt sei, daß sich die Leute nicht alle kennen, aber es eine Arbeitsteilung und Kontaktpersonen zwischen den beiden Gruppen gibt.

SB: Ist es Bestandteil der Verteidigungsstrategie darzulegen, daß ihr aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen kommt und nichts miteinander zu tun habt?

Jan: Es gibt in der Verteidigung, grob gesagt, zwei Strategien. Eine betrifft eher die fünf Angeklagten, die der Basisgruppe Tierrechte (BAT) zugeordnet werden, zu denen wir gehören. Die andere Gruppe wird, auch vom Staatsanwalt, eher dem Verein gegen Tierfabriken (VGT) zugeordnet. Ich sage im Rahmen unserer Strategie ganz klar, daß ich in der Basisgruppe Tierrechte aktiv war und an Kampagnen teilgenommen habe, aber ich sage nichts über andere Leute, welchen Gruppen sie auch angehören mögen. Die Strategie der VGT-Gruppe besteht schon darin, daß sie betont, daß die angeblichen Beweise für eine Zusammenarbeit, für die Bekanntschaft miteinander einfach konstruiert und erfunden sind.

SB: Ihr hattet vorhin vom Campaigning gegen bestimmte Firmen berichtet, das man so lange beibehält, bis es zum Erfolg führt. Hat sich eure Strategie stark von der des Vereins gegen Tierfabriken unterschieden?

Kevin: Die Strategien ähnelten sich insofern, als es in den letzten Jahren gegen dasselbe Unternehmen ging. Es gab Demonstrationen der Basisgruppe Tierrechte gegen die Firma Kleider Bauer, Österreichs letztes Bekleidungsunternehmen, das nach wie vor Pelze verkauft, und in der gleichen Straße vor einer anderen Filiale stand der Verein gegen Tierfabriken. Zwar wurde, wenn man sich das Infomaterial anguckt, inhaltlich ein bißchen anders argumentiert - beim VGT stand alles unter dem Label Tierschutz, wir propagierten eher einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch -, aber die Forderung, daß Kleider Bauer aus dem Pelzhandel aussteigt, war identisch. Da gab es schon Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppen.

SB: Wo würdest Du den größten Unterschied ansiedeln? Ist zum Beispiel eine Herrschaftskritik, die den Menschen einbezieht, für euch ein Thema?

Kevin: Das ist ein wesentliches Thema. Der größte Unterschied meiner Meinung nach besteht darin, daß das, was der VGT fordert, von Anfang an eine Form von Reformismus ist. Sie fordern in erster Linie bessere Tierschutzgesetze, artgerechtere Nutztierhaltung als Zwischenstufen. Wir fordern die Befreiung der Tiere als Ganzes ohne Zwischenschritte. Natürlich siedeln wir das im gesamtgesellschaftlichen Kontext an und halten eine Befreiung der Tiere ohne eine Befreiung des Menschen, ohne Überwindung des Kapitalismus, nicht für möglich.

SB: Würdet ihr euch dem Antispeziesismus zuordnen, oder verfolgt ihr einen anderen Ansatz?

Jan: Antispeziesismus ist Teil unseres Selbstverständnisses, eines linken Selbstverständnisses, antirassistisch, antisexistisch, antikapitalistisch. Wir picken uns nicht nur dieses eine Thema heraus, sondern erheben einen Anspruch, der viele Themenbereiche abdeckt. Wenn wir uns bei unseren Aktionen auf eine Unterdrückungsform konzentrieren, denken wir andere Probleme mit. Zum Beispiel lehnen wir Kampagnen, wie sie PETA unter dem Motto "Lieber nackt als im Pelz" betreibt, als sexistisch ab. Das kommt für uns nicht in Frage. Wir lehnen das ab, weil wir der Ansicht sind, daß man Unterdrückungsformen nicht gegeneinander ausspielen kann, daß man nicht gegen Tierausbeutung ankämpfen und dabei die Idee der Frauenbefreiung, des Feminismus oder Antisexismus vergessen kann.

SB: Der Tierrechtsethiker Peter Singer wird in linken Kreisen für seine Aussagen zur Euthanasie von Behinderten und zum Lebenswert von Menschen stark kritisiert. Wie ist eure Position dazu?

Jan: Peter Singer ist für uns kein Thema. Wir lehnen die Thesen des Utilitarismus ab, weil das Abwägen von Leid gegeneinander für uns nicht in Frage kommt. Ich glaube allerdings auch, daß man die keineswegs falsche Kritik an Peter Singer zum Teil auch bewußt zugespitzt hat, um sie gegen Tierrechts- und Tierbefreiungsgruppen zu instrumentalisieren. So sehen wir uns auch mit der Kritik an Peter Singer konfrontiert, obwohl wir ihn komplett ablehnen. Dann heißt es, aha, Tierbefreiung, ihr sitzt mit Peter Singer oder mit PETA, wogegen wir uns immer ausgesprochen haben, in einem Boot.

Kevin: Das war in den Neunzigern in Deutschland einer der Hauptkritikpunkte an der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Damals gab es schon eine sich als links verstehende Tierrechtsbewegung in Deutschland, die sich da ganz klar positioniert hat. In meiner Wahrnehmung ist es so, daß zumindest für diejengen Teile der Tierrechtsbewegung Peter Singer überhaupt kein mehr Thema ist, keine Relevanz hat und abgelehnt wird. Der bürgerliche Teil der Tierrechtsbewegung zitiert ihn allerdings nach wie vor und bewertet ihn als sehr positiv.

SB: Der Verein gegen Tierfabriken hat ja einiges bei der Reform des Tierschutzes erreicht, worauf auch ein Teil der Unterstützung, die er erhält, zurückzuführen sein dürfte. Gilt diese Unterstützung dem Kollektiv der Angeklagten, oder wird da seitens des Bürgertums unterschieden?

Jan: Der VGT hat sehr viel mit anderen Tierschutzvereinen zusammengearbeitet und verfügt über gute Kontakte. Kampagnen, die der VGT als eigene Erfolge verkauft, sind auch oft Erfolg anderer Tierschutzvereine, die inhaltlich ähnliche Arbeit machen. So wird von vielen bürgerlichen Gruppen Solidarität mit den Angeklagten als Kollektiv geübt, wobei sie allerdings die Basisgruppe Tierrechte und auch unsere Solidaritätsgruppen kaum wahrnehmen. Die meisten Medien sind sehr auf Martin Balluch, der sich als Hauptangeklagter inszeniert, und auf den VGT konzentriert. Wir dringen mit unserer Pressearbeit hingegen kaum durch, weil der Fokus ganz stark auf diesen großen Verein, der traditionell sehr gute Medienkontakte hat, über viele Netzwerke verfügt und eine sehr professionelle intensive Medienarbeit macht, konzentriert ist. Zum Teil profitieren wir sicherlich auch davon, zum Teil gehen unsere Inhalte aber auch unter und werden durch Inhalte überlagert, die wir einfach nicht gutheißen.

Kevin: Teile vom VGT haben von Anfang an eine spalterische Strategie verfolgt. Das betraf zum einen die Aufspaltung der Angeklagten der BAT und des VGT, aber meiner Meinung nach auch die Bewegung als Ganzes, indem der Verein - zum Teil aus strategischen Gründen, meiner Meinung nach aber auch zum Teil aus Überzeugung - selbst an der Kriminalisierung teilhatte. So distanzierten sich Teile vom VGT von jeglichen Sachbeschädigungen, von Tierbefreiungen und benutzten Begriffe wie "Tierschutzkriminalität" und "Straftäter", die bis dahin nur vom Bundesministerium für Inneres oder der SOKO verwendet wurden. Das hat eben auch dazu geführt hat, daß man sich kaum mehr mit derartigen Aktionen solidarisch oder auch nur Verständnis dafür zeigen kann, ohne mit in eine kriminelle Ecke gedrängt zu werden. Es fällt meiner Meinung nach unter Meinungsfreiheit, Sympathie für manche Aktionen zu haben und diese auch inhaltlich zu verteidigen, ohne daß man in irgendeiner Weise was mit diesen Aktionen zu tun hat.

SB: Deckt sich eure Ansicht zu diesem Konflikt mit der der Leute, die Euch unterstützen, oder ist diese innere Spaltung eher unterschwelliger Art?

Kevin: Diese Spaltung betrifft ja genauso die Unterstützerinnen und Unterstützer. Die Leute, die mit uns fünf den Prozeß vorbereiten und die in der Solidaritätsgruppe sitzen, kommen grossteils aus der radikalen Linken. Es gibt unterschiedliche Konten, auf denen Geld gesammelt wird, und es war ganz klar, daß die Solidarität, die aus der Linken, aus antifaschistischen und anderen Gruppen kam, oft nur auf uns fünf beschränkt war. Natürlich wird nicht gutgeheißen, daß der VGT kriminalisiert wird, aber zwischen den unterschiedlichen Angeklagtengruppen wird ein klarer Unterschied gemacht.

Jan: Die Solidarität der radikalen Linken kam eben oft von Genossinnen und Genossen, die gemeinsam zum Beispiel in antirassistischen oder antisexistischen Gruppen aktiv waren. Der Konsens betraf nicht die Tierbefreiung, sondern die Antirepressionsarbeit, oder er resultierte aus einer gemeinsamen politischen Vergangenheit, die prägend war.

SB: Wie ihr bereits im Vortrag dargelegt habt, fährt das Gericht eine Doppelstrategie, indem unterstellt wird, daß Personen, die legal protestieren oder zivilen Ungehorsam üben, auch an Straftaten wie Sachbeschädigungen und so weiter beteiligt waren. Wie hat sich diese unterstellte Verbindung zwischen legaler und illegaler Aktivität ausgewirkt?

Jan: Das bedeutet, daß die Personen, die im Endeffekt vor Gericht sitzen, aus einer Gruppe von etwa 40 Personen stammen, gegen die ermittelt wurde. Die 13 Angeklagten haben sich durch zivilen Ungehorsam, durch Medienarbeit, durch Anmeldungen von Demonstrationen und so weiter besonders exponiert. Es sind Leute, die durch legale Aktivitäten aufgefallen sind und an denen nun die These, daß sie schon irgend etwas mit illegalen Sachen zu tun gehabt hätten oder mit deren Urheber_innen zusammenarbeiteten, festgemacht werden soll. Zwar werden teilweise schon noch konkrete Straftaten zugeordnet, allerdings ist die Beweislage dafür mehr als dünn. Das sagen auch die Anwält_innen. Ihrer Ansicht nach würde keine Richter_in, keine Staatsanwält_in, wenn es im Normalfall nur um diese Vorwürfe ginge, aufgrund der Beweislage Anklage erheben. Die Besonderheit des Paragraphen 278a ist eben, daß Handlungen, die strafrechtlich nicht bedenklich sind, als Unterstützungshandlungen für eine sogenannte kriminelle Organisation gewertet werden. Um ein Extrembeispiel zu schildern - mir wird vorgeworfen, ich hätte eine Demonstration, die sich gegen Tierausbeutung richtete, bei der Polizei angemeldet, mit der ich die Ziele der kriminellen Organisation unterstützen wollte. Man belastet mich also mit der Tatsache, daß ich eine Demonstration angemeldet habe, die niemals untersagt wurde.

SB: Dann ist das Instrument der Vereinigungskriminalität nach Paragraph 278a das hauptsächliche Mittel der Anklage. Wie beurteilt ihr eure Aussichten?

Kevin: Das Problem ist, daß der Paragraph als solches unglaublich schwammig und alles total schwierig abzuschätzen ist. Wenn es um die reine Beweislage und konkrete Straftaten gehen würde, stände ein klarer Freispruch an, weil es einfach nichts gibt. Aber das Konstrukt der Anklage, dieser schwammige Paragraph, dazu irgendwelche willkürlich ausgelegten Indizien, all das macht es momentan für mich unmöglich zu sagen, was am Ende dabei rauskommt. Wir befinden uns gerade einmal in der Hälfte des Prozesses, er wird voraussichtlich bis zum Frühjahr oder sogar Sommer nächsten Jahres gehen, daher ist es meiner Meinung nach sehr schwierig einzuschätzen, in welche Richtung die Richterin geht.

SB: Welche Rolle spielt eurer Einschätzung nach die öffentliche Mobilisierung? Das Thema genießt ja in Österreich relativ viel Aufmerksamkeit. Gilt das auch jetzt noch oder war es eher der Aufregung nach der Verhaftung und der Anklageerhebung geschuldet?

Kevin: Natürlich gab es am Anfang wesentlich größeres Interesse. Die ersten Tage waren alle großen Zeitungen im Gerichtssaal vertreten, es erschienen viele Artikel, das hat natürlich sehr abgenommen. Jetzt werden die Medien nur zu bestimmten Anlässen wie irgendwelchen besonderen Zeuginnen oder Zeugen aktiv. Dennoch erscheinen, obwohl der Prozeß schon so lange läuft und es eigentlich eher selten Neues gibt, immer wieder Artikel und Berichte. Das hätte ich vor ein paar Monaten nicht so eingeschätzt, sondern eher gedacht, daß es auf einen kompletten Nullpunkt zuläuft. So überrascht es mich eigentlich immer wieder, daß große Zeitungen immer noch lange Artikel über den Prozeß publizieren.

SB: Habt ihr den Eindruck, daß sich in Österreich im Verhältnis zu Tieren gesamtgesellschaftlich irgend etwas tut? Oder geht es eher um die Rechtsfragen?

Jan: Österreich ist ein traditionelles Land der Tierschützerinnen und Tierschützer, in dem alle ein gutes Gewissen beim Schnitzel haben wollen. Tierschutz heißt, wenn wir das Schwein schon umbringen, soll es bis dahin ein gutes Leben gehabt haben. So ändert sich das Bewußtsein kaum, es wird lediglich skandalisiert, daß der Tierschutz kriminalisiert wird. Ansonsten herrscht nach wie vor ein geradezu absurdes Bild von Tierausbeutung vor, da die meisten Österreicher nach wie vor glauben, die Schweine leben glücklich auf einer Wiese, bevor sie zum Schlachter kommen. Für uns ist das falsch, weil sie einen gewaltsamen Tod erleiden, aber gerade die Tierausbeutung wird kaum thematisiert. Es geht eher um den Angriff auf den Tierschutz, der hoch angesehen ist, auch wenn er im Endeffekt über weite Strecken zahnlos bleibt.

Kevin: Eben dort siedle ich den VGT an. Von dem her, was er eigentlich will, steht er für den Vegetarismus oder Veganismus und unterscheidet sich damit klar vom Deutschen Tierschutzbund oder anderen klassischen Tierschutzvereinen, aber er sagt es einfach nicht. Seine Mitglieder sind zwar dauernd präsent in den Medien, aber dadurch, daß sie es nicht benennen, dadurch daß sie nur Reformen wie Verbesserungen in der Haltung von Tieren fordern, bleibt das eigentliche Thema der Ausbeutung von Tieren auf der Strecke. Es bleibt bei Reformen und Diskursen wie der Verbesserung von Tierschutzgesetzen.

SB: Wenn man den Veganismus als Weltanschauung, als grundlegende Einstellung nimmt und daraus Reformschritte ableitet, könnte das nicht eine Form von Pragmatismus des Erreichbaren sein, indem man sagt, daß ist doch schon eine ganze Menge, wenn die Hühner nicht mehr in so enge Käfige gesperrt werden oder die Tiertransporte nicht mehr so grausam ablaufen?

Jan: Wenn ich heute Werbung dafür mache, daß Hühner in größere Käfige gesperrt werden, soll ich dann morgen sagen, na ja, jetzt haben wir größere Käfige, jetzt sollen wir keine Eier mehr essen? Dieser Pragmatismus führt sich selber ad absurdum.

SB: Weil der Verbrauch von Tieren dadurch nicht gemindert wird?

Jan: Es geht mir ja nicht darum, wie groß die Käfige sind. Vielleicht kann es für ein Individuum einen Unterschied machen, wenn man zum Beispiel fordert, Käfige durch Freilandhaltung zu ersetzen, allerdings bin ich sehr skeptisch, ob diese Reformen das leisten. Auf jeden Fall ist es nicht das, was ich will. Ich möchte keine schönere und bessere Ausbeutung, sondern ich will ein Ende der Ausbeutung. Das sagen auch Gegner der Todesstrafe - nicht humaner töten, sondern gar nicht mehr töten. Ich will die beiden Themen jetzt nicht vergleichen, es geht mir um die Kritik am Pragmatismus.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch und, wie man angesichts der Unwägbarkeit dieser Rechtsprechung wohl nicht anders sagen kann, viel Glück für den weiteren Prozeßverlauf.

Plakat gegen Kriminalisierung sozialer Bewegungen

Aus der Kampagne gegen österreichisches Gesinnungsstrafrecht


siehe dazu auch:
Schattenblick ~- INFOPOOL ~- REDAKTION ~- REPORT
Interview mit Martin Balluch am 11. Juni 2009 in Großmugl
http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/report/rrwg03.html

Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)
BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)
BERICHT/041: Antirep2010 - Yossi Wolfson streitet gegen Illegalisierung (SB)
BERICHT/042: Antirep2010 - Will Potter zu "Green Scare" in den USA
BERICHT/043: Antirep2010 - Sabine Schiffer nimmt Islamfeindlichkeit in den Medien aufs Korn (SB)
BERICHT/044: Antirep2010 - Staatliche Repression gegen die antikapitalistische Linke (SB)
BERICHT/045: Antirep2010 - Tobias Pflüger konterkariert Europas Weltmachtstreben (SB)
BERICHT/046: Antirep2010 - Staatliche Repression gegen sozialökologische Bewegungen (SB)
BERICHT/047: Antirep2010 - Moshe Zuckermann würdigt Rosa Luxemburg (SB)
BERICHT/048: Antirep2010 - Gavin Sullivan zum Antiterrorparadigma (SB)
INTERVIEW/051: Antirep2010 - Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Autor (SB)
INTERVIEW/052: Antirep2010 - Will Potter, US-Journalist und Autor "The New Green Scare" (SB)
INTERVIEW/053: Antirep2010 - Thomas Wagner, Kultursoziologe und Autor (SB)
INTERVIEW/054: Antirep2010 - Michael Schiffmann kämpft um das Leben Mumia Abu-Jamals (SB)
INTERVIEW/055: Antirep2010 - Tobias Pflüger, Friedensaktivist und Politiker der Linkspartei (SB)
INTERVIEW/056: Antirep2010 - Yossi Wolfson, Menschenrechtsanwalt und Tierschützer (SB)

7. November 2010