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REPRESSION/1683: Recht - Umkehr der Adressen ... (SB)



Für die Strafbarkeit ist es ohne Belang, dass aus "Revolution Chemnitz" nicht viel wurde, weil sie rasch aufflog.
Bundesanwalt Kai Lohse [1]

Die rechtsextreme Gruppe "Revolution Chemnitz" wurde am 10. September 2018 gegründet, hatte am 14. September ihrer ersten Einsatz und wurde kurz darauf durch Festnahme aufgelöst. Angesichts dieser außerordentlich kurzen Existenz von nur wenigen Tagen drängt sich zwangsläufig eine Reihe von Fragen auf. Wie gefährlich war die aus acht Personen bestehende Gruppierung tatsächlich? Stand sie womöglich von Anfang an unter Beobachtung des Staatsschutzes? Und wie sind die schnelle Verhaftung und zügige Prozeßführung im Kontext staatlichen Umgangs mit der extremen Rechten zu bewerten? Vieles deutet darauf hin, daß sich in diesem Fall verschiedene Stränge kreuzten, die nur in ihrer Gesamtheit eine fundierte Einschätzung erlauben. Was die Gefährlichkeit betrifft, geben die Vorgeschichte der Beteiligten und ein Abgleich mit anderen rechtsextremen Angriffen im Verbund einer vernetzten Bewegung allen Anlaß, von einer Verharmlosung Abstand zu nehmen. Inwieweit die Gruppe observiert wurde, bleibt offen, da sich der sächsische Verfassungsschutz bedeckt hielt und lediglich einräumte, daß sich der Rädelsführer Christian K. Jahre zuvor als V-Person angedient habe, aber wegen mutmaßlicher Unzuverlässigkeit abgelehnt worden sei [2]. Im Zusammenhang der proklamierten Kehrtwende bei der Abwehr rechter Gefahr, die eine Läuterung der beteiligten Ministerien, Geheimdienste und Polizeibehörden signalisiert, mit der die Legitimierung und Akzeptanz des Sicherheitsstaats vorangetrieben wird, war "Revolution Chemnitz" ein ausgesprochen leicht einzuverleibendes Schnäppchen.

Im Prozeß um die rechtsextreme "Revolution Chemnitz" hat das Oberlandesgericht Dresden Haftstrafen zwischen zwei Jahren und drei Monaten sowie fünfeinhalb Jahren verhängt. Alle acht Angeklagten im Alter zwischen 22 und 32 Jahren wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt, der Rädelsführer Christian K. zudem wegen deren Gründung. Mit den Strafmaßen folgte das Dresdner OLG zum Teil den Anträgen der Bundesanwaltschaft, die für Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren sowie fünf Jahren und sechs Monaten plädiert hatte. Fünf der Angeklagten mußten sich auch wegen schweren Landfriedensbruchs verantworten. Einer von ihnen soll eine schwere Körperverletzung begangen haben, die aber keiner der Personen eindeutig zugeordnet werden konnte. [3]

Das Verfahren hatte am 30. September 2019 begonnen und fand unter Sicherheitsvorkehrungen in einem speziellen Saal des OLG statt. Hier war vor zwei Jahren bereits das Urteil gegen die rechtsextreme "Gruppe Freital" ergangen. Der Prozeß war trotz der Corona-Krise fortgesetzt und zum Abschluß gebracht worden, da er bei einer Unterbrechung von mehr als zehn Tagen hätte neu aufgerollt werden müssen. Während sich in Sachsen derzeit nicht mehr als zwei Personen im Freien treffen dürfen, saßen im Hochsicherheitssaal Dutzende Menschen zusammen. Im Zuschauerraum verfolgten 20 Prozeßbeobachter, unter ihnen vor allem Journalisten, die Plädoyers und die Urteilsverkündung. Viele Stühle waren mit Absperrband freigehalten, die Klimaanlage blieb aus, Fernsehteams durften vor Beginn der Sitzung nicht im Sitzungsbereich filmen, um die Gefahr der Ansteckung zu minimieren. Einige Anwälte machten dem Gericht schwere Vorwürfe. Die Fortsetzung des Verfahrens sei "unverantwortlich", sagte ein Verteidiger vor Verlesung seines Plädoyers. Er und sein Mandant seien "gezwungenermaßen" erschienen: "Die Welt ist im Umbruch. Was gestern noch wichtig war, bewegt sich heute in der Bedeutungslosigkeit." Dieser Pathos konnte das Gericht jedoch nicht umstimmen.

Gleiches galt für die Argumentationslinie der Verteidigung, die zu Beginn des Prozesses von einem politisch motivierten Verfahren gesprochen hatte. Die Anwälte versuchten, die in der Gruppe geäußerten Pläne als "dumm", "dilettantisch" und "unbeholfen" herunterzuspielen. Es habe sich lediglich um eine Chatgruppe gehandelt, in der "dummes Geschwatze" ausgetauscht worden sei. Sie beschrieben ihre Mandanten als fürsorgliche Väter und treusorgende Lebenspartner, die vor ihrer Verhaftung gerne in der Freizeit am Auto herumgebastelt hätten. Der Verteidiger Kay Estel bezeichnete seinen Mandanten als "durchschnittlichen deutschen Spießbürger". In ihren Plädoyers hatten die Anwälte niedrige Haftstrafen und sogar Freisprüche gefordert.

Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft waren die Anklagepunkte hieb- und stichfest bewiesen. "Der Sachverhalt ist umfassend aufgeklärt und hat aus unserer Sicht ein glasklares Ergebnis erbracht", so Bundesanwalt Kai Lohse. "Der tragische Tod Daniel Hilligs bildete nicht den Ursprung für die nachfolgenden Ausschreitungen." Die Tat sei vielmehr mißbraucht worden, um aus einer aufgeheizten Stimmung heraus die staatliche Ordnung angreifen und überwinden zu wollen. Alle Angeklagten seien der "mörderischen Ideologie des Nationalsozialismus" verhaftet, mit der sie Menschen aus Deutschland vertreiben, ihnen das Lebensrecht absprechen, Haß, Willkür, Gewalt und letztlich auch Völkermord den Weg ebnen wollten. Lohse nannte Beispiele wie Lampen mit SS-Runen oder ein als Altar aufgebautes Foto des Kommandanten von Auschwitz, die bei den Angeklagten gefunden worden waren. Die Schwelle zur Strafbarkeit werde in der deutschen Rechtsordnung bereits überschritten, wenn sich eine Vereinigung mit dem Ziel bilde, Straftaten zu begehen, sagte Lohse. Hinzu komme in diesem Fall eine "gefahrerhöhende Dynamik" durch eine aufgeputschte Stimmung. Für die Strafbarkeit sei es ohne Belang, daß aus "Revolution Chemnitz" nicht viel wurde, weil sie rasch aufflog.

Das terroristische Potential der Gruppe habe sich nicht in konkreten Taten voll entfaltet, räumte der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats während der Urteilsverkündung ein. "Es gab noch keine Pläne, die zum Bürgerkrieg führen sollten. Die Waffen waren noch nicht beschafft." Daß solche Gruppen jedoch eine entsprechende Eigendynamik entwickeln könnten, hätten die Taten der rechtsextremen Gruppen "Freital" und "Oldschool Society" gezeigt. Die Gruppe sei ein "organisierter Zusammenschluss zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels, bei dem die Tötung von Menschen am Ende stehen kann". Wer die Beschaffung von Waffen plane, der nehme Mord und Totschlag in Kauf.

Im August 2018 hatte der gewaltsame Tod des Deutsch-Kubaners Daniel Hillig für ausländerfeindliche Demonstrationen und Ausschreitungen in Chemnitz gesorgt. Im August 2019 wurde ein Syrer für die Tat zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt, das Landgericht Chemnitz sprach den Mann wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig. Am 10. September 2018 richtete Christian K. beim Messengerdienst Telegram eine Chatgruppe mit dem Titel "Planung zur Revolution" ein. Er lud sieben weitere Personen in die Gruppe ein und stellte sie vor die Wahl, das Ziel der Gruppe zu unterstützen oder sie zu verlassen. Das Schriftstück ließ an Deutlichkeit nichts vermissen. Es sei an der Zeit, nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern Taten. "Linke, Parasiten, Merkel-Zombies, die Mediendiktatur und deren Sklaven" sollten ins Visier genommen werden - auch mit Waffengewalt. Der NSU sollte dagegen wie eine "Kindergarten-Vorschulgruppe" wirken. Für den 3. Oktober 2018 war eine Aktion in Berlin geplant. Die Anklage war überzeugt, daß es zu einem Umsturzversuch kommen sollte.

Ihren ersten Einsatz hatte die Gruppe vier Tage später, als nach einer Demonstration von "Pro Chemnitz" fünf der Angeklagten und ein knappes Dutzend weiterer Personen zur Schloßteichinsel, einem Park im Norden von Chemnitz, gingen. Sie waren schwarz gekleidet, trugen Bierflaschen mit abgebrochenen Hälsen als Waffen bei sich und trafen auf eine Gruppe, die auf der Insel einen Geburtstag feierte. Laut schreiend liefen die Männer auf die Gruppe zu, schubsten einzelne Personen, beschimpfen sie als "Fotzen" und "Feiglinge". Anschließend kreisten die Männer eine Gruppe aus Pakistanern, Deutschen und Iranern ein, jemand rief "Ausländer raus". Einer der Männer warf einem Iraner eine Bierflasche an den Hinterkopf. Wenig später wurde K. verhaftet. Auf seinem Handy fand die Polizei die Chat-Nachrichten, die zu weiteren Festnahmen führten, "Revolution Chemnitz" wurde gestoppt. Diese Chat-Nachrichten, die auch Gespräche über die Beschaffung von Schußwaffen enthielten, bildeten den Kern der Anklage durch die Bundesanwaltschaft. [4]

Christian K., Sten E., Maximilian V., Marcel W., Sven W., Hardy Christopher W. und Tom W. wuchsen in den Neunzigerjahren in sächsischen Kleinstädten auf, wo Rechtsextremismus als harmlose Jugendbewegung galt, nicht aber als Gefahr. Die jungen Männer kennen sich von Demonstrationen oder Konzerten, sie verbinden eine langjährige Vernetzung im Milieu der extremen Rechten wie auch diverse gerichtsrelevante Übergriffe, teilweise auch gemeinsame Gefängnisaufenthalte. Laut Bundesanwaltschaft sind sie in der Hooligan-, Skinhead- und Neonaziszene fest verwurzelt. Sowohl Christian K. als auch der Mitangeklagte Tom W. gehörten als Jugendliche der 2007 verbotenen Neonazigruppe "Sturm 34" an. K. pflegte zudem Kontakte zur Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz", die ebenfalls für ihre Gewalt berüchtigt war, Schießtrainings absolvierte und 2014 verboten wurde. Ein anderer Beschuldigter war zuletzt Administrator einer Chatgruppe namens "Wehrsturm Sachsen", auch dort wurden Migranten als "Drecksbrut" und "Mistbiester" beschimpft. Sten E. hatte zudem Kontakt zu Leuten der früheren Hooligan-Gruppe "Elbflorenz" aus Dresden.

Einzelne Mitglieder der Gruppe betrieben bei Facebook seit Mitte Oktober 2013 die Seite "Revolution-Chemnitz ANW", auf der immer wieder Inhalte der Gruppe "Ein Prozent" geteilt wurden, die der rechtsextremen Identitären Bewegung nahesteht. Unter den Beiträgen finden sich auch Veranstaltungshinweise wie etwa zum Neonazi-Konzert im thüringischen Themar. In Chemnitz haben sich Mitglieder der Hooligangruppe "NS-Boys" nach einem Stadionverbot des lokalen Fußballvereins neu organisiert, etwa bei "Kaotic Chemnitz". Das rechte Bündnis "Pro Chemnitz" demonstrierte regelmäßig in der Stadt, dessen Gründer Kontakte zu verbotenen Neonazi-Gruppen gehabt haben soll.

Die Radikalisierung, Bewaffnung und Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppierungen wurde seitens der Sicherheitsbehörden lange unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung gehalten oder in seiner Bedeutung heruntergespielt. Die Hemmschwelle solcher Gruppen, mit massiver Gewalt vorzugehen, ist erschreckend gesunken. Dabei kreuzen sich gewachsene Strukturen mit frischen Zellen, alte Kämpfer treffen sich wieder und bilden neue Allianzen, militante Netzwerke reorganisieren sich, auf die Präsenz des NSU in Sachsen und die "Gruppe Freital" folgte die "Revolution Chemnitz". Wie der rechte Aufmarsch in Dortmund oder die Präsenz des inzwischen verbotenen "Combat 18" in Schleswig-Holstein, Hessen und Nordrhein-Westfalen belegen, kann indessen von regionalen Ausnahmefällen in ostdeutschen Bundesländern keine Rede sein. Jahrelang als Fiktion ewig gestriger und irrelevanter Splittergruppen mißdeutet und verharmlost, ist "die Bewegung" längst in den Parlamenten und auf der Straße eine höchst reale Gefahr.

Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dem Anschlag von Halle und der Mordserie von Hanau ist aus staatlicher Sicht der Bedarf schlagartig gewachsen, einerseits Angriffen auf hochrangige politische Repräsentanten einen Riegel vorzuschieben und andererseits eine konsequente Verfolgung rechtsextremer Zirkel öffentlichkeitswirksam unter Beweis zu stellen. "Revolution Chemnitz" verstand sich als konspirativ, weil die Gruppe über die Messenger-App Telegram verschlüsselt kommunizierte, doch bescherte sie dem Staatsschutz eigenhändig ein Ermittlungsergebnis, das zur Festnahme führte, bevor es zur Umsetzung der Anschlagspläne kam. Die Bundesanwaltschaft konnte ein Paradebeispiel erfolgreichen Zugriffs gegen die extreme Rechte vorführen, da eindeutige Beweise auf dem Tisch lagen und die Ausführung der Tat durch die Festnahmen verhindert werden konnte. Daß sich "Revolution Chemnitz" gewissermaßen selbst auf dem Präsentierteller serviert hat und welche Rolle der Rädelsführer Christian K. dabei gespielt haben könnte, dürfte als Restzweifel unter den Teppich gekehrt werden.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/einspruch/hohe-haftstrafen-gegen-revolution-chemnitz-gefordert-16676347.html

[2] www.mdr.de/sachsen/meyer-plath-als-zeuge-im-prozess-revolution-chemnitz-100.html

[3] www.sueddeutsche.de/politik/rechtsextremismus-terror-revolution-chemnitz-urteil-1.4855319

[4] www.sueddeutsche.de/politik/revolution-chemnitz-rechtsextremisten-1.4855988

25. März 2020


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