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REPRESSION/1656: Erwischt - hinterm rechten Rand ... (SB)



Die Demonstrationen von "Pro Chemnitz" und andere rechtsextremistische Aktivitäten seit Ende August 2018 ließen ein Klima der Gewaltbereitschaft gegen Menschen mit Migrationshintergrund, politische Gegner und Mitbürger jüdischen Glaubens entstehen. Die Mitglieder von "Revolution Chemnitz" wähnten sich in diesem Klima als "Speerspitze" einer herbeihalluzinierten "Volksbewegung".
Ein Sprecher des Verfassungsschutzes Sachsen [1]

Vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts Dresden hat der Prozeß gegen die acht Mitglieder der Gruppe "Revolution Chemnitz" begonnen. Den 21 bis 32 Jahre alten Angeklagten wird Bildung und Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung vorgeworfen. Fünf von ihnen werden zudem des schweren Landfriedensbruchs und einer auch der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt. Die Männer sollen im September 2018 eine Chatgruppe gegründet haben und stehen unter dringendem Verdacht, einen Umsturz der demokratischen Ordnung mit Waffen geplant und dabei auch die Tötung von Menschen in Kauf genommen zu haben. Bundesanwalt Kai Lohse warf ihnen zu Beginn des Prozesses vor, Anschläge auf Flüchtlinge, Andersdenkende und Repräsentanten des Staates geplant zu haben. Sie hätten eine "offen nationalsozialistischer Gesinnung" und "wollten die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verändern, eine Systemwende herbeiführen".

Nach Angaben einer OLG-Sprecherin ist es der bislang achte Prozeß dieser Art in Sachsen und aus Sicht des Generalbundesanwalts Peter Frank "eines der bedeutendsten Verfahren im Bereich Rechtsterrorismus". [2] Daß Staatsschutz und Strafjustiz im Falle der Vereinigung "Revolution Chemnitz" so konsequent zu Werke gehen, wie es zur Eindämmung rechter Umtriebe stets geboten erschiene, aber eher selten praktiziert wird, dürfte auf eine Gemengelage unterschiedlicher Gründe zurückzuführen sein. Zum ersten trug die Gruppe selbst zu ihrer vorzeitigen Enttarnung bei, indem fünf ihrer Mitglieder in einem mutmaßlichen Probelauf am 14. September als selbsternannte Bürgerwehr auf der Schloßteichinsel in Chemnitz in einheitlicher Kleidung auftraten, Quarzhandschuhe trugen und abgebrochene Bierflaschen, ein Messer und einen Elektroschocker mitführten. Sie attackierten Feiernde, kreisten eine Gruppe von Iranern und Pakistanern ein und riefen "Ausländer raus". Ein Mann wurde geschlagen, ein Iraner von einer Bierflasche getroffen. Nach dem Angriff wurde der als Anführer geltende Christian K. festgenommen. Auf seinem Handy stieß die Polizei auf die Chatgruppe, Nachrichten und Kontaktdaten der Mitglieder. Am 2. Oktober erfolgte die Festnahme der restlichen sieben Mitglieder, die Chat-Nachrichten sind zentraler Bestandteil der Anklage. [3]

Davon abgesehen, daß sich die Gruppe als konspirativ verstand, weil sie über die Messenger-App Telegram verschlüsselt kommunizierte, bescherte sie eigenhändig dem Staatsschutz ein Ermittlungsergebnis, das zur Festnahme führte, bevor es zur Umsetzung der Anschlagspläne kam. Dies erlaubt es der Bundesanwaltschaft, ein Paradebeispiel erfolgreichen Zugriffs gegen die extreme Rechte vorzuführen, da eindeutige Beweise auf dem Tisch zu liegen scheinen und die Ausführung der Tat durch die Festnahmen verhindert werden konnte. Weil alle Erfahrung lehrt, mögliche Zusammenhänge und Schnittstellen zwischen Geheimdiensten und der extremen Rechten in Erwägung zu ziehen, stellt sich angesichts des Umstands, daß sich "Revolution Chemnitz" gewissermaßen selbst auf dem Präsentierteller serviert hat, auch in diesem Fall die Frage nach einem dementsprechenden Muster.

Dafür sind jedoch bislang keine Anhaltspunkte bekannt. Das spricht vorerst eher für die These, daß der Staatsschutz im Gegenteil nicht zuletzt deswegen so zügig und ungehindert gegen "Revolution Chemnitz" vorgehen kann, weil keine geheimdienstlichen Interferenzen zu erwarten sind, die das Interesse an einer rückhaltlosen Aufklärung durchkreuzen könnten. Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist aus staatlicher Sicht der Bedarf schlagartig gewachsen, einerseits Angriffen auf hochrangige politische Repräsentanten einen Riegel vorzuschieben und andererseits eine konsequente Verfolgung rechtsextremer Zirkel öffentlichkeitswirksam unter Beweis zu stellen.

So wird der aufwendige Prozeß denn auch in einem Gebäude neben einer Justizvollzugsanstalt am Rande Dresdens geführt, welches das angrenzende Oberlandesgericht zum Hochsicherheitssaal umbauen ließ, in dem eine dicke Glasscheibe Publikum und Gericht trennt. Im Frühjahr 2018 fiel hier das Urteil gegen sieben Männer und eine Frau, die in Freital Flüchtlinge und Politiker terrorisiert hatten. Es folgten Verfahren gegen Mitglieder der rechtsextremen "Oldschool Society". Nach dem NSU, der "Oldschool Society" und der "Gruppe Freital" ist "Revolution Chemnitz" die vierte mutmaßlich rechtsextreme Vereinigung in den vergangenen zehn Jahren, bei der die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben hat. Vom aktuellen Strafprozeß, dessen Akten 62 Ordner und elektronische Dokumente umfassen, berichten über 80 Journalisten aus dem In- und Ausland. Zudem hat die neu formierte Spezialeinheit mit für Konfliktsituationen ausgebildeten Justizwachtmeistern zur Absicherung kritischer oder gefährlicher Prozesse an Gerichten im Freistaat ihren ersten Einsatz.

Die Verteidigung hat sich offenbar auf die Linie festgelegt, den Anklägern politische Motive und der Staatsschutzkammer mangelnde Objektivität aufgrund des hohen Medieninteresses vorzuhalten. Die Vorwürfe seien "dünn" und es sei zweifelhaft, daß eine bloße Chatgruppe bereits als Terrororganisation eingestuft werden könne. So erklärte der Anwalt von Christian K., es sei doch "nur schwer vorstellbar", daß die Angeklagten "wegen 96 Stunden Telegramchats" als Terrorgruppe verurteilt würden. Zwischenzeitlich war sogar Martin Kohlmann als Verteidiger mandatiert, Chef der rechtsextremen Kleinpartei "Pro Chemnitz" und Anheizer der Aufmärsche. Offenbar überwarf sich der Anwalt jedoch mit seinem Mandanten. Kohlmann hatte wenige Tage nach dessen Festnahme erklärt, die angeblichen Terrorpläne entstammten "dem Bereich der Phantasie". Es gehe doch nur um Leute, die "in Handynachrichten ein bissl Frust ablassen". Zugleich attackierte er die Ermittler: "Für wie blöd halten die uns eigentlich?"

Die Argumentation, wonach die Angeklagten zwar rechtsextrem eingestellt, aber deswegen noch lange keine Terroristen seien, hält einer Überprüfung nicht stand. Vielmehr läßt sich anhand von "Revolution Chemnitz" eben jener fließende Übergang von landläufigeren rechten Straftaten zu schweren Anschlägen studieren. Die acht Mitglieder der Gruppe verbindet eine langjährige Vernetzung im Milieu der extremen Rechten wie auch diverse gerichtsrelevante Übergriffe. Sie kennen sich aus der Jugendzeit, durch Straftaten, teilweise durch gemeinsame Gefängnisaufenthalte. Laut Bundesanwaltschaft sind sie in der Hooligan-, Skinhead- und Neonaziszene fest verwurzelt. Sowohl Christian K. als auch der Mitangeklagte Tom W. gehörten als Jugendliche der 2007 verbotenen Neonazigruppe "Sturm 34" an. K. pflegte zudem Kontakte zur Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz", die ebenfalls für ihre Gewalt berüchtigt war, Schießtrainings absolvierte und 2014 verboten wurde. Ein anderer Beschuldigter war zuletzt Administrator einer Chatgruppe namens "Wehrsturm Sachsen", auch dort wurden Migranten als "Drecksbrut" und "Mistbiester" beschimpft. Sten E. hatte zudem Kontakt zu Leuten der früheren Hooligan-Gruppe "Elbflorenz" aus Dresden. [4]

Auslöser für die Gründung der Gruppe war offenbar der tödliche Messerangriff auf Daniel H. im August 2018 in Chemnitz. Die Tat hatte die sächsische Stadt tagelang in Ausnahmezustand versetzt. Ein inzwischen verurteilter Syrer und ein Iraker werden für das Verbrechen verantwortlich gemacht. Rechte aus der ganzen Republik reisten an, die AfD, Pegida, Hooligans und viele mehr. Der Protest zog sich über Wochen hin und schlug zunehmend in Gewalt um. Demos kippten, Hitlergrüße wurden gezeigt, dann auch Migranten, Gegendemonstranten und Journalisten attackiert, ebenso wie ein jüdisches, ein türkisches und zwei persische Restaurants in der Stadt. Allein bei den ersten beiden Aufzügen nach Daniel H.s Tod zählte das LKA Sachsen 38 Gewaltdelikte. Die Gesamtbilanz nach den Ausschreitungen in Chemnitz lag am Ende bei 138 rechtsmotivierten Straftaten.

Einige Mitglieder der Gruppe beteiligten sich damals an den ausländerfeindlichen Attacken und Demonstrationen. Danach sei bei Christian K. der Entschluß gereift, den "antideutschen Machenschaften" ein Ende zu bereiten. Ziel seien Angriffe auf Ausländer, Deutsche mit Migrationshintergrund und politisch Andersdenkende gewesen, so Bundesanwalt Lohse. Anschläge auf "Linksparasiten, Merkel-Zombies, Mediendiktatur und deren Sklaven", beschrieben es die acht Männer in dem Chat mit dem Namen "Planung zur Revolution". Während sich auf der Straße die Stimmung hochschaukelte, heizten die Beschuldigten sie auch in privaten Chats weiter an. Man habe die "Kanacken" satt, die "Rotzer", den "Abschaum", hieß es dort. Man wolle diese "boxen", "schlachten", "Jagd" auf sie machen. Für die Mörder von Daniel H. brauche es ein "Kopfgeld". Auch die "Zecken" sollte man "ausrotten", halten Ermittlungsergebnisse fest. Christian K. schrieb: "Die Zeichen stehen auf Sturm." Man solle jedem Bescheid sagen, der "Bock hat sich rum zu prügeln" oder auch "einen Schritt weitergeht". Er jedenfalls sei bereit, es "bis zum Ende durchzuziehen". [5]

Der NSU sehe im Vergleich dazu wie eine "Kindergarten-Vorschulgruppe" aus. "Für mich geht kein Ding zu weit", erwiderte der Mitbeschuldigte Tom W. postwendend. Es sei nun "an der Zeit, nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten", schrieb Christian K. Es gehe um eine "Systemwende", ja einen "Bürgerkrieg", wofür "effektive Schläge" notwendig seien. Die Gruppe suchte Waffen. Heckler & Koch oder Walther wären gut, wie es im Chat hieß. Für 800 Euro könne er etwas besorgen, schrieb Christian K. Auch Tom W. sicherte zu: "Waffen also scharfe Sachen kann ich machen." Ein anderer Beschuldigter gestand in seiner späteren Vernehmung, es sei darum gegangen, "jemanden umzubringen".

Christian K. legte ein Datum zum Losschlagen fest: den 3. Oktober, in Berlin. Dort, wo die Leute säßen, "die abgesetzt werden müssen". In Berlin werde man, am Rande einer Demonstration und mit deponierten Waffen, einen "Wendepunkt in der Geschichte" der Bundesrepublik erzwingen. Der Plan sah vor, auch Polizisten auf die eigene Seite ziehen: Die Ausschreitungen müßten nur so aussehen, als hätten die Linken angefangen, schrieb K. Dann seien "die Bullen zu 88,88 Prozent auf unserer Seite".

Die hohe Vernetzung in der rechtsextremen Szene trägt zur Erklärung bei, warum die Aufmärsche in Chemnitz so schnell derart groß und gewalttätig wurden. Über WhatsApp-Gruppen wurde damals bundesweit dorthin mobilisiert. Einer Gruppe namens "Bündnis zur Bewegung" gehörten immerhin 350 Mitglieder aus mehreren Bundesländern an, darunter auch fünf der Angeklagten. Dieser Tage ist nun ein Foto aufgetaucht, das auch Stephan Ernst, den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, auf einem der Protestmärsche Anfang September in Chemnitz zeigen soll. Diese Aufzüge stellten eine Machtprobe der bundesweiten rechtsextremen Szene dar, und die Beteiligten zogen daraus ihre jeweils eigenen Schlüsse. Daß Stephan Ernst zur Tat schritt, aber "Revolution Chemnitz" nicht, unterscheidet die beiden nicht. Letztere wurde lediglich daran gehindert. Andere könnten folgen.


Fußnoten:

[1] deutsch.rt.com/inland/92929-rechte-revolution-vor-gericht-prozess/

[2] www.faz.net/aktuell/politik/inland/rechtsextremismus-revolution-chemnitz-prozess-unterbrochen-16410229.html

[3] www.sueddeutsche.de/politik/chemnitz-rechtsextremismus-prozess-1.4622146

[4] taz.de/Prozess-gegen-Neonazis-in-Dresden/!5626697/

[5] www.nzz.ch/international/rechtsextremismus-in-deutschland-anschlaege-auf-merkel-zombies-ld.1512360

1. Oktober 2019


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