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REPRESSION/1560: De Maizìere und Altmaier in Afghanistan? (SB)



Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen Bundesinnenminister Thomas de Maizìere und Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor wenigen Tagen an verschiedenen Orten Afghanistans gesehen worden sein, wo sie sich offenbar persönlich überzeugen konnten, daß die Sicherheitslage dort ausgezeichnet sei. Wenngleich ihre Dienststellen dem Vernehmen nach diesbezügliche Nachfragen weder bestätigen noch dementieren wollten, sprechen doch jüngste Äußerungen der beiden Unionspolitiker für den mutmaßlichen Wahrheitsgehalt der Meldung. So sagte Altmaier im Deutschlandfunk, es gebe in Afghanistan viele Städte, in denen Menschen sicher und normal leben könnten. Zugleich betonte der Kanzleramtsminister, er halte die Abschiebestopps in einzelnen Bundesländern für nicht nachvollziehbar und falsch. [1]

De Maizìere präzisierte in den ARD-"Tagesthemen" hinsichtlich der Gefahrenlage am Hindukusch: "Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber nicht Ziel von Anschlägen der Taliban". Das sei "ein großer Unterschied". Diese Aussage bekräftigt frühere Angaben der Bundesregierung, die Taliban hätten "glaubhaft versichert", zivile Opfer vermeiden zu wollen. Irritierend ist zunächst der vermeintliche Widerspruch zwischen dieser Auffassung und dem jüngsten Bericht der dortigen UN-Mission, dem zufolge 2016 in Afghanistan 11.418 Zivilisten durch Kriegshandlungen verletzt oder getötet wurden. Das sei der höchste Stand, seit 2009 begonnen wurde, die Zahl ziviler Opfer zu erfassen. Demnach gingen 61 Prozent davon auf das Konto der Aufständischen, 23 Prozent wurden von den Regierungskräften bzw. ihnen nahestehenden Milizen verursacht, weitere von westlichen Luftangriffen. [2]

Da man einem führenden Repräsentanten der Bundesregierung sicher nicht unterstellen will, er täusche die Bevölkerung wissentlich mit falschen Angaben, bedarf die Aussage des Bundesinnenministers einer näheren Klärung ihres Wortgehalts. De Maizìere spricht ja explizit nicht von "Kollateralschäden" unter Zivilisten, die zu vernachlässigen seien. Wie er vielmehr klarstellt, sei die Zivilbevölkerung insofern nicht im Fadenkreuz der Taliban, als sie bei deren Angriffen oder Anschlägen zwar in hoher Zahl getötet, verwundet, verstümmelt und traumatisiert wird, aber eben unabsichtlich. Dies zu verstehen, fällt dann nicht schwer, wenn man berücksichtigt, daß Einrichtungen der Regierung oder der westlichen Mächte die bestgeschützten Orte im Lande sind. Um sie in Mitleidenschaft zu ziehen oder in sie einzudringen, bedarf es seitens eventueller Attentäter hochdimensionierter Sprengladungen oder der Zündung von Explosivstoffen vor dem Gebäude. Daß unter solchen Umständen zahlreiche Unbeteiligte zur falschen Zeit am falschen Ort sind, liegt auf der Hand, was erst dank de Maizìeres Unterscheidung von Opfer und Ziel in seiner ganzen Tragweite begreifbar wird.

Nun könnte man natürlich einwenden, daß es für die afghanischen Zivilisten keinen Unterschied mache, ob sie gezielt oder ungezielt umgebracht werden. Auch fehlt es ja nicht an Berichten über das Wüten der Islamisten gegen Frauen, Schulen, Kultureinrichtungen oder generell in den von ihnen eingenommenen Gebieten. Das kann man jedoch de Maizìere nicht vorhalten, der als deutscher Innenminister schließlich nicht für Afghanistan verantwortlich ist, wohl aber für die Entscheidung, ob Flüchtlinge dorthin zurückgeführt werden können und dürfen. Da man annehmen darf, daß ihm das Völker- und Asylrecht vertraut sind, die eine Abschiebung in Kriegsgebiete strikt verbieten, und ihm wohl kaum daran gelegen sein kann, offen zum Rechtsbruch aufzurufen, weiß er sich anders zu helfen.

Der Bundesinnenminister hebelt die Propaganda von Pro Asyl, er wolle Deutschland "vom Aufnahmeland zum Abschiebeland" umbauen [3], Amnesty International, der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Kinderhilfswerk, Unicef Deutschland [4], den Flüchtlingsräten, diversen UN-Organisationen und zahlreichen weiteren Kritikern, die sich offenbar gegen ihn und sein Lagebild verschworen haben, auf höchst pragmatische Weise aus. Möglicherweise in landesübliche Tracht gekleidet, vielleicht sicherheitshalber mit falschem Bart, reisten er und Altmaier kurzerhand nach Afghanistan, um den schlagenden Beweis zu erbringen: Seht her - nichts ist passiert, es gibt doch sichere Orte! Und selbst wenn das schiefgegangen wäre, bliebe immer noch der Trost, daß man als Opfer, nicht aber als Ziel über den Jordan gegangen ist.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/asylpolitik-kabinett-beschliesst-schaerfere.1818.de.html

[2] https://www.jungewelt.de/2017/02-22/070.php

[3] http://www.n-tv.de/politik/So-soll-Ausreisepflicht-durchgesetzt-werden-article19713961.html

[4] https://www.welt.de/newsticker/news1/article162281172/Regierung-drueckt-bei-Abschiebungen-aufs-Tempo.html

22. Februar 2017


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