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REPRESSION/1527: Feindstrafrecht und mehr ... (SB)



"Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" - was leicht angegraut klingt, weil es an die Kämpfe zwischen Regierungsmacht und linker Opposition zu Zeiten des Kalten Krieges erinnert, ist von unveränderter Aktualität. So freiheitlich sich die Inanspruchnahme sicherheitsstaatlicher Definitionsmacht auch geben mag, sie gründet in nichts anderem als der Feindseligkeit gegenüber Menschen, die nicht dazugehören. Ob Staatsangehörigkeit, Weltanschauung, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Klassenzugehörigkeit, es gibt viele Gründe und Motive, einem Menschen Feindseligkeit zu unterstellen und ihm damit selbst die Feindschaft zu erklären. Um einen "Feind der Freiheit" identifizieren zu können, bedarf es seiner näheren Bestimmung anhand von Werten und Normen, denen er nicht gerecht werden will, weil er sie seinerseits als Einschränkung seiner Freiheit oder Selbstbestimmung empfindet.

Diesen Sachverhalt unter dem Label "Terrorismus" zusammenzufassen dient der universalen Anwendbarkeit dagegen gerichteter Instrumente der Strafverfolgung ebenso wie der populistischen Behauptung, die vorhandenen Mittel des Strafrechtes reichten nicht mehr aus, um gegen derartige Gewalttaten vorzugehen. Ein wesentlicher Grund, politischen Handlungsbedarf in Sachen Innere Sicherheit zu reklamieren, besteht in der rechten Konkurrenz, die den Unionsparteien in Gestalt der AfD erwachsen ist. Um diese rechts zu überholen und damit an der Wahlurne auszumanövrieren, bedürfte es allerdings eines Ausbaus autoritärer Staatlichkeit, nach dem sich Deutschland von klassischen Diktaturen nur noch graduell unterschiede. Dem Original auf seinem Feld Konkurrenz zu machen führt jedoch zielsicher zu einer weiteren Rechtsverschiebung des gesamten politischen Feldes, und auch dafür gibt es in Zeiten internationaler Krisenkonkurrenz und Verteilungskämpfe viele schlechte Gründe.

Ist man sich allgemein handelseinig darüber, daß mit Terrorismus eine Kriegsstrategie irregulärer Akteure gemeint ist, die mit massiver Gewalt Angst und Schrecken erzeugen, um auf eine Gesellschaft in ihrem Sinne einzuwirken, so sind die inhaltlichen Zuschreibungen des Begriffes dem kontroversen Charakter des politischen Streites gemäß heftig umkämpft. Was derzeit gegen sogenannte islamistische Terroristen in Stellung gebracht wird, bedient sich eines nicht minder unklaren Feindbildes. Ist "der Islam" für rechte Kulturkämpfer per se eine Terrorismus initiierende Religion, so stellt sich anderen die Frage, ob bei den jüngsten Anschlägen in der Bundesrepublik überhaupt von einer religiösen Motivlage gesprochen werden kann oder die Täter aus Gründen zu mörderischen Mitteln griffen, die mit dem Islam praktisch nichts zu tun haben.

Daß staatlicherseits überhaupt die Etablierung einer Freund-Feind-Unterscheidung ins Werk gesetzt wird, ist Ergebnis der Präventionslogik, mit der die Unionsparteien neue Straftatbestände wie "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" oder "Sympathiewerbung" für Terroristen einführen wollen. Sie schränken nicht nur den Rechtsschutz von derartigen Vorwürfen Betroffener drastisch ein, haben sie nach konventionellem Strafrecht doch kein Verbrechen begangen, sondern bedürfen auch einer Bestimmung von Sachverhalten, die sich, wenn überhaupt, nur als Verhaltensauffälligkeiten oder Gesinnungsdelikte dingfest machen lassen.

Als Terrorismus ausgemacht wird häufig, was in einer jeweiligen politischen Lage als zweckopportun gilt, wie die vielen Beispiele zeigen, in denen Regierungen sich irregulärer Akteure zu kriegerischen Zwecken bedienen, die andere Regierungen als illegal und terroristisch verurteilen, ohne daß sich ein Schiedsspruch einer übergeordneten Instanz wie der Vereinten Nationen erwirtschaften ließe. Im Falle der Verfolgung ausländischer Terrororganisationen nach dem Vereinigungsstrafrecht 129 b ist die Exekutive weisungsbefugt, denn nur mit dem Plazet des Bundesjustizministeriums eröffnet die Bundesanwaltschaft entsprechende Ermittlungen. Ähnlich intransparent und zweckrational wird darüber entschieden, wer auf die Terrorliste der EU gelangt, was wiederum die EU-weite Kriminalisierung politischer Akteure zur Folge hat, die, wie im aktuellen Fall der Türkei, von einer Regierung verfolgt werden, die ihrerseits gegen Grund- und Menschenrechte verstößt. Die Relativität bisheriger Terrorismusdefinitionen zeigt sich selbst im Falle des IS, sind doch Staaten wie Saudi-Arabien, in denen Hinrichtungen öffentlich und mit dem Schwert vollzogen werden, angesehene Gesprächspartner auch der Bundesregierung.

Zumindest läßt sich festhalten, daß die Debatte um die inhaltliche Bestimmung des Begriffs Terrorismus bis heute in einem Ausmaß kontrovers geführt wird, wie es für Straftatbestände wie Mord oder Diebstahl nicht der Fall ist. Wenn Verdachtsmomente oder Indizien zu verfolgbaren Tatbeständen erhoben werden, also keine materiellen Straftaten wie Eigentumsdelikte oder Gewaltverbrechen vorliegen müssen, um Menschen auszuweisen oder zu inhaftieren, wird auch die Berechenbarkeit rechtstaatlicher Strafandrohung eingeschränkt. Dies ist im politischen Strafrecht der Vereinigungskriminalität bereits der Fall, bedarf dort jedoch zumindest der unterstellten Zugehörigkeit mehrerer Personen zu einer politisch mißliebigen Organisation. Menschen zu "Gefährdern" zu erklären oder der "Sympathiewerbung" für Terrorismus zu bezichtigen kann einen deutlich größeren Personenkreis treffen und muß sich keineswegs auf Anhänger des politischen Islam beschränken.

Wenn nicht mehr eindeutig klar ist, ob etwa die Lektüre einer politisch radikalen Schrift, die Veröffentlichen einer politisch dezidierten Stellungnahme, die Unterstützung einer politischen Gruppe oder die öffentliche Klage über erlittenes Unrecht einen Terrorismusverdacht begründen kann, dann betrifft das die ganze Gesellschaft und nicht nur religiöse oder sogenannte extremistische Minderheiten. Weil sich ihre Verfolgung nicht in einem demokratisch und rechtstaatlich unanfechtbaren Sinne begründen läßt, geht die Produktion von Feindbildern mit der Einführung derartiger Straftatbestände zwingend einher. Ist ersteinmal ein Feindstrafrecht etabliert, dann drohen Formen der politischen Verfolgung, die sich längst nicht auf diejenigen eingrenzen lassen, die zunächst als Anlaß zur Abschaffung halbwegs verläßlicher Rechtsnormen herhalten mußten.

19. August 2016


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