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REPRESSION/1381: Wer über den Terror befindet, hat recht ... (SB)



Das unter der Präsidentschaft von George W. Bush in den USA eingeführte Feindstrafrecht erweist sich allen Versuchen linksliberaler US-Politiker, auf den Boden des demokratischen Rechtsstaates zurückzukehren, als strafrechtliches Paradigma mit Zukunft. So hat die Regierung Obama den rechtswirksamen Begriff des "unlawful enemy combatant" lediglich modifiziert, um mit dem "unprivileged enemy belligerent" eine entsprechende Kategorie der Entrechtung sogenannter Terrorverdächtiger zu schaffen. Entscheidend ist nach wie vor, auf legalem Wege administrativen Zugriff auf Personen erlangen zu können, denen keine Straftat nachzuweisen ist. Der Terrorverdächtige wird durch präventive Entrechtung, durch Aussetzung des selbstherrliche Staatsgewalt einschränkenden Gleichheitsgrundsatzes zu dem Nichtmenschen, den der NS-Kronjurist Carl Schmitt als der autoritären Konsolidierung souveräner Macht unabdinglich herausgestellt hat - die Existenz eines Feindes, mit dem nicht zu verhandeln oder auf der Ebene allgemein anerkannter Rechte umzugehen ist, sondern der schlicht zu vernichten ist.

Die USA stehen nach wie vor im weltweiten Krieg gegen den Terrorismus, sie legitimieren sich bestenfalls im Ausnahmefall mit dem Ziel der Friedenserzwingung. Der Feind, der diesen elementaren Status angeblich bewirkt, trägt nach wie vor den Namen Al Qaida. Dabei spielt es keine Rolle, wie relevant die von diesem Phantom ausgehende Bedrohung tatsächlich ist, es zählt allein die Unterstellung, der Staat werde von einem Aggressor auf kriegerische Weise bedroht und nicht von Verbrechern auf kriminelle Weise heimgesucht. Dieses die erlittene Aggression mit vielfacher Gewalt nach außen kehrende Selbstverständnis bedingt die Ausformung einer Rechtswillkür, die nur so lange als solche erkennbar ist, als man überhaupt an demokratischen Grundrechten und einer rechtstaatlichen Verfassung festhält. Bedenkt man den jüngsten, nach dem fehlgeschlagenen Attentat am Times Square in Politik und Medien der USA viel Unterstützung findenden Vorstoß des einflußreichen US-Senators Joseph Lieberman, US-Bürgern, die sich als angebliche Terroristen gegen den eigenen Staat wenden, die Staatsangehörigkeit zu entziehen, auch wenn sie sich im eigenen Land aufhalten, dann besteht durchaus Anlaß zu der Mutmaßung, es in den USA mit einer unumkehrbaren Entwicklung zu einer Rechtsform diktatorischer Ermächtigung zu tun zu haben.

Lieberman, der dem Ausschuß für Homeland Security im US-Senat vorsteht, will mit dem von ihm eingebrachten Terrorist Expatriation Act nicht nur US-Bürger treffen, die an der Seite der Taliban gegen die US-Streitkräfte in Afghanistan kämpfen. Die Ausbürgerung von US-Bürgern, die sich ins Ausland begeben, um dort gegen US-Truppen zu kämpfen, ist nach herrschender Gesetzeslage ohnehin möglich. Um in den USA lebende Staatsbürger aller Rechte entkleiden zu können, die diese Zugehörigkeit mit sich bringt, führt Lieberman Straftaten wie Landesverrat oder die Planung eines gewaltsamen Umsturzes sowie jegliche Form der materiellen Unterstützung terroristischer Gruppen an. Nach Maßgabe seiner Gesetzesvorlage könnten schon Spenden für humanitäre Organisationen, die in Verbindung mit Organisationen stehen, die das US-Außenministerium als "terroristisch" qualifiziert, eine Ausbürgerung des Spenders ermöglichen. Da Lieberman die gerichtliche Feststellung des terroristischen Aktes nicht nur ordentlichen Gerichten, sondern auch Militärtribunalen übertragen will, reichten schon geringfügige Verdächtigungen auf der Basis von Geheimdienstinformationen dazu aus, die Betroffenen massiv zu entrechten oder gar des Landes zu verweisen.

Ob Liebermans Gesetzesinitiative den legislativen Prozeß erfolgreich absolviert oder nicht, sein Vorstoß ist ein signifikantes Beispiel für den Ermächtigungsprimat, mit dem sich US-Politiker exekutive Befugnisse verschaffen, die diverse Grundrechte zur Disposition stellen. So hat Liebermans Mitstreiter, Senator John McCain, scharfe Kritik an den Sicherheitsbehörden geübt, weil sie dem geständigen Attentäter vom Times Square, Faisal Shahzad, bei der Verhaftung seine Rechte verlasen. Der ehemalige Präsidenschaftskandidat hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Rechte sogenannter Terrorverdächtiger - und damit aller Menschen, die aus welchen Umständen auch immer mit diesem Stigma behaftet werden - massiv einschränkte [1]. Der spezifische Charakter des propagierten Feindbilds "islamistischer Terrorismus" schränkt den Terrorverdacht auf Muslime und US-Bürger, die aus mehrheitlich islamischen Staaten eingewandert sind, ein. Wenn US-Bürger im Staatsauftrag andere Menschen foltern und umbringen, dann sind diese Taten nicht einmal im Ansatz des Terrorismus verdächtig. Das Feindbild ist so spezifisch wie der Terrorismusbegriff unbestimmt, nur so lassen sich staatsautoritäre Maßnahmen als Faktoren gesellschaftlicher Kohäsion nutzen. Kurz gesagt, wer die Macht hat, den andern als Terroristen zu kriminalisieren, der hat recht.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1374.html

13. Mai 2010