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REPRESSION/1378: "Burka-Verbot" ... "Befreiung" durch patriarchalische Verfügungsgewalt (SB)



Patriarchalische Praktiken muslimischer Männer zu kritisieren ist das eine, die Bekleidung muslimischer Frauen mit strafrechtlichen Verboten zu belegen etwas ganz anderes. Mit dem ersten gesetzlichen Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit in Europa, das mit einer Geldstrafe von 250 Euro und zusätzlich einer Woche Haft bestraft werden soll, wurde ein Bekleidungsverbot erwirkt, das weit über den sehr kleinen Kreis der betroffenen Musliminnen Auswirkungen haben könnte. Auch wenn sich das sogenannte Burka-Verbot gegen eine religiös begründete Bekleidungsform richtet, ist davon jeder Mensch betroffen, der aus welchen Gründen auch immer in der Öffentlichkeit sein Gesicht verhüllt. Das in Belgien geltende "Verbot des Tragens jedweder Kleidung, die ganz oder weitgehend das Gesicht verdeckt" (Welt Online, 29.04.2010), ist de facto ein auf den normalen gesellschaftlichen Umgang erweitertes Vermummungsverbot, wie es üblicherweise nur auf politischen Demonstrationen zwecks besserer Identifizierbarkeit der Teilnehmer durch die Polizei gilt.

Ein Gesetz zu erlassen, das die Verhüllung des Gesichtes bei Mitgliedern einer bestimmten Religion oder bei Frauen unter Strafe stellte, wäre ein Verstoß gegen das Verbot religiöser Diskriminierung und den Gleichheitsgrundsatz. Insofern arbeitet das belgische Gesetz der allgemeinen Exposition von Menschen im öffentlichen Raum zu, wie es zum Beispiel mit dem Verbot von Kapuzenpullis in einigen britischen Kaufhäusern und Hochschulen durchgesetzt wurde. Daß der Mensch in der panoptischen Gesellschaft stets für unsichtbare Beobachter zu erkennen sein und nicht die Möglichkeit besitzen soll, sich einer allgegenwärtigen Sozialkontrolle zu entziehen, läßt sich mit dem angeblich freiheitlichen Anspruch der belgischen Gesetzgebung kaum vereinbaren.

Das ausdrücklich zum Schutz muslimischer Frauen vor männlicher Unterdrückung gedachte Verbot setzt die Betroffenen zudem anderen Formen der Kontrolle und des Zwangs durch ihre Ehemänner aus. Daran ändert auch das in Frankreich vorbereitete Gesetz nichts, das das dort ebenfalls geplante Verschleierungsverbot durch empfindliche Strafen gegen Männer ergänzen soll, die Frauen zum Tragen der Burka oder des Hijabs, des Gesichtsschleiers, zwingen. Wird ihnen für diesen Fall ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 15.000 Euro angedroht, dann werden sie die Bewegungsfreiheit ihrer Ehefrauen einschränken oder ihren Kontrollanspruch auf andere, allein die durch das Verbot angeblich befreiten Frauen treffende Weise durchsetzen. Verfolgte man die Logik der strafrechtlichen Erzwingung in Westeuropa üblicher Verhaltensweisen und Kleidungsvorschriften unter dem Anspruch, Frauen vor männlicher Bevormundung zu schützen, konsequent weiter, dann müßten die betroffenen Ehepaare permanent unter Überwachung gestellt respektive ad hoc voneinander getrennt werden. Inwiefern Musliminnen damit gedient ist, daß ihre Ehemänner die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, muß daher ebenso in Frage gestellt werden wie das Verbot der Gesichtsverhüllung als solches.

Denkt man die Folgen der neuen Kleidervorschrift praktisch durch, dann zeigt sich, daß frau dem patriarchalischen Kontrollanspruch nicht so leicht entkommt, wie die von Männern dominierte politische Klasse es sich vorstellt. Das grundlegende Gewaltproblem im Geschlechterverhältnis wird nicht in Frage gestellt, statt dessen wird eine Forderung an weibliche Sichtbarkeit zur Norm erhoben, deren sexistische Ausbeutung die andere Seite Frauen aufgeherrschter Verhaltensweisen darstellt. Den Kritikern staatlich durchgesetzter Bekleidungsvorschriften wird gerne entgegengehalten, daß es auch nicht erlaubt sei, nackt durch die Gegend zu laufen. Das eine hat mit dem andern so gut wie nichts zu tun, ist die Aufhebung einer seit Menschengedenken in diesen Breitengraden üblichen, durch die christliche Sexualmoral verstetigten kulturellen Praxis nicht mit dem Verbot einer Gesichtsverhüllung gleichzusetzen, deren wichtigste Wirkung die Anonymität der damit unkenntlich gewordenen Person ist.

Es ist kein Zufall, daß Nacktheit in der europäischen Zivilisationsgeschichte meist Merkmal körperlich arbeitender Menschen war, bei denen es sich häufig um Sklaven handelte, oder anderer Opfer physischer Ausbeutung wie Gladiatoren oder Prostituierte. Das Verdecken des Gesichts hinter einem Schleier, einer Maske, einer Rüstung oder kunstvoll aufgetragener Schminke hingegen war ein Privileg gehobener Stände, in denen man den Nutzen der Anonymität schon vor dem Zeitalter der Videoüberwachung zu schätzen wußte. Heute tritt traditionell als unzüchtig geltende Nacktheit im öffentlichen Raum hauptsächlich in Abbildungen von Frauen oder "gewagten" weiblichen Bekleidungsformen auf. Der Objektcharakter des weiblichen Körpers findet die Zustimmung vor allem männlicher Betrachter, die nicht danach fragen, ob sich auf eindeutige Weise angestarrte Frauen wohl dabei fühlen, nach Kriterien ihrer sexuellen Attraktivität für gut oder schlecht befunden zu werden.

Mit der Befreiung von Frauen hat dies ebensowenig zu tun wie ein Vermummungsverbot, mit dem der Staat ermächtigt wird, eine spezifische Norm weiblicher Sichtbarkeit durchzusetzen. Zweifellos verwahrten sich die Verfechter eines "Burka-Verbots" entschieden dagegen, diesen Eingriff in die weibliche Autonomie mit dem Verschleierungs- oder Kopftuchzwang in einigen islamisch geprägten Gesellschaften gleichzusetzen. Auffällig ist dennoch, daß es mehrheitlich Männer sind, die das eine oder andere erwirken. Indem sie es zu ihrer Sache machen, wie Frauen sich zu kleiden haben, führen sie ein patriarchalisches Prärogativ ins Feld, demgegenüber Frauen, wie auch immer ihre persönliche Entscheidung ausfällt, aufzubegehren oder sich zu unterwerfen, von vornherein den kürzeren ziehen. Wie in allen Fällen des Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung gilt auch in diesem Fall, daß Befreiung nur dann vollständig gelingt, wenn sie von den Betroffenen selbst erstritten wird.

Ginge es wirklich darum, das Leben von Musliminnen zu erleichtern, dann wäre nicht zuletzt ihre materielle Bemittelung zu verbessern. Die Bürde, die westliche Besatzungstruppen afghanischen Frauen auflasten, indem sie die Entwicklung angemessener Lebensverhältnisse durch kriegerische Einflußnahme auf die Machtverteilung im Land hemmen, steht in keinem Verhältnis zu den Problemen, die muslimische Ehefrauen im Westen mit Traditionen haben, die sie beherrschbar machen. Kritik an patriarchalischen Machtansprüchen ist absolut geboten, allerdings nicht auf eine Weise, die mit der kulturalistischen Legitimation militärischer, auch in diesem Fall von Männern dominierter Aggression und Okkupation konform geht, während die angebliche Überwindung einer repressiven Sexualmoral in liberalen westlichen Gesellschaften Frauen einer unbarmherzigen Bewertung und Vernutzung des ihnen von interessierter Seite her eingeschriebenen Warencharakters aussetzt.

30. April 2010