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REPRESSION/1343: Terrorverdächtige ... die neue Klasse der Nichtmenschen (SB)



Die von der US-Regierung geplante Einrichtung eines neuen Gefängnisses auf dem Staatsgebiet der Vereinigten Staaten, in dem Gefangene des Lagers Guantanamo eingesperrt werden, selbst wenn kein Strafurteil über sie verhängt wurde (Washington Post, 03.08.2009), ist die logische Konsequenz der Inhaftierung sogenannter Terrorverdächtiger. Daß Menschen einfach deshalb ihrer Freiheit beraubt werden können, weil sie als potentielle Gefahr für Staat und Gesellschaft gelten, ist der wesentliche Ertrag des Terrorkriegs für die Rechtssysteme demokratischer Staaten. Was früher nach Maßgabe grundrechtlicher Garantien undenkbar gewesen wäre, etabliert sich nicht nur in den USA zur Norm des zur Regel gewordenen Ausnahmezustands.

In das neue Hochsicherheitsgefängnis sollen neben Gefangenen, die durch Militärtribunale unter Einschränkung ihrer Rechte als Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt wurden, erklärtermaßen auch Insassen Guantanamos verlegt werden, die die US-Regierung als zu gefährlich erachtet, als daß sie freigelassen werden könnten. Diese unter dem Terminus des illegalen feindlichen Kombattanten ihrer Grundrechte beraubten Opfer der US-Kriegführung stellen den Prototyp einer Kategorie von Mensch dar, dem das Menschsein durch einen Akt staatlicher Ermächtigung aberkannt wird. Der einzige Unterschied, der im Umgang mit ihm zwischen sich als demokratisch bezeichnenden Staaten wie den USA und ausgemachten Diktaturen gemacht wird, liegt darin, daß er nicht der Einfachheit halber getötet wird. Der mit dem Anspruch der US-Regierung auf Respektierung der Menschenrechte als irreduzibel ausgewiesene Rest seines Menschseins läuft darauf hinaus, von Gnaden derjenigen, die ihn gefangengenommen und verschleppt haben, lebendig in einem notdürftig belüfteten und mit Essen versehenen Betonsarg vor sich hin vegetieren zu dürfen.

Die Insassen Guantanamos, die die US-Regierung zwar nicht als gefährlich erachtet, für deren Aufnahme sich aber kein anderes Land findet, sollen ebenfalls in dem neuen Maximum Security-Knast aufbewahrt werden. Ließe man sie in den USA frei, dann zeigte sich, daß das Zeichen des Bösen ihnen unauslöschlich in die Haut eingebrannt wurde. Für US-Präsident Barack Obama soll es ein zu großes politisches Risiko sein, vom Terrorverdacht entlastete Delinquenten in den USA auf freien Fuß zu setzen. Die sich daraus ergebende Schlußfolgerung, daß dies in Ländern, die sie aufnehmen könnten, nicht anders ist, belegt die Virulenz dieses Bannfluchs. Wer einmal als Terrorverdächtiger in die Fänge von Soldaten oder in die Mühle der Justiz geraten ist, wird diesen Makel mit großer Wahrscheinlichkeit für den Rest seines Lebens nicht mehr los.

Gerade der Indifferenz und Willkür, mit der Menschen als potentielle Terroristen abgestempelt werden, ist ihre Rehabilitationsresistenz geschuldet. Wer unter normalen strafrechtlichen Bedingungen eines Verbrechens beschuldigt wird, hat die Möglichkeit, nach einem Freispruch wie zuvor zu leben. Wer keines Verbrechens beschuldigt werden kann, weil die üblichen rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, aber dennoch unter die Verfügungsgewalt einer staatlichen Exekutive gerät, die ihre geheimgehaltenen Gründe hat, ihn seiner Freiheit zu berauben, bewegt sich in einem Zwischenzustand, der allein von dem allgegenwärtigen gegen ihn erhobenen Verdacht gefüllt ist. Da dieser Verdacht mit der Suggestionskraft des propagandistischen Apparats zu einem Generalvorwand für die Usurpation exekutiver Handlungsgewalt aufgebaut wurde, ist der Gefangene von der ganzen Wucht dieser Mutmaßung gezeichnet. Seine Rehabilitation erforderte nicht nur die öffentliche Erklärung der für sein Verhängnis zuständigen Regierung, sich geirrt zu haben, sondern verlangte nach gründlicher Aufklärung über den Vorwandscharakter des Terrorkriegs.

Indem US-Präsident Obama nun einen unter Kontrolle der Ministerien für Verteidigung, Justiz und Heimatschutz stehenden Sonderstrafvollzug für Terrorverdächtige einrichten läßt, vervollständigt er die unter seinem Vorgänger George W. Bush begonnene Legalisierung der willkürlichen Freiheitsberaubung durch den Staat. Das bisherige System der Administrativhaft ist in den meisten Staaten auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt, nach dem Gefangene entweder entlassen werden müssen oder ein Prozeß gegen sie eröffnet wird. Schon die britische Lösung, spezifische Kontrollanordnungen über sie zu verhängen, so daß sie zwar nicht mehr inhaftiert sind, aber auch keine vollwertigen Bürgerrechte besitzen, weist den Weg in die Schaffung einer neuen Klasse von Nichtmenschen. Mit einer Einrichtung zur dauerhaften Internierung strafrechtlich nicht verurteilter Menschen etabliert sich der rechtliche Ausnahmezustand, den Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 erklärt hat, als Norm des herrschenden Rechtskodexes.

Wie im Falle der angestrebten Legalisierung der angeblich aus Gründen besonderer Dringlichkeit erfolgenden Aussageerpressung durch Folter setzen sich Formen staatlicher Verfügungsgewalt durch, deren vermeintlich eng umgrenzter Verwendungszweck sich mit einem Federstrich auf weite Kreise von Menschen ausdehnen läßt, die als politisch unzuverlässig gelten, die aus erbbiologischen Gründen als potentielle Verbrecher eingestuft werden oder für die man, wie im Falle der Gefangenen, die kein Land finden, das sie aufnehmen will, schlicht keinen Verwendungszweck hat.

Doch damit nicht genug, die US-Regierung will sich vorbehalten, gegen diejenigen Gefangenen aus Guantanamo einen Prozeß zu eröffnen, deren Schuldhaftigkeit sie meint, vor Gericht beweisen zu können. Damit etabliert sie ein selektives Justizwesen, das immer nur dann tätig wird, wenn die Ankläger gute Chancen sehen, ihr Ziel zu erreichen. Andernfalls bleibt der Gefangene schlimmstenfalls inhaftiert, bis er stirbt. Um zu verhindern, daß Terrorverdächtige in einem Fall freigesprochen werden, in dem die Regierung sich ihrer Sache sicher wähnt, hat der Rechtsberater des Pentagon, Jeh Johnson, dem US-Präsidenten gar "presidential post-acquittal detention power", also die Vollmacht, sich über die Rechtsprechung hinwegzusetzen, wenn sie nicht im Sinn der Exekutive funktioniert, und einen freigesprochenen Terrorverdächtigen dennoch zu inhaftieren, zugebilligt. Man überläßt eben nichts dem Zufall, sondern ermächtigt sich zu einer Willkür, die dem Terrorverdächtigen auf eine durch den Begriff des Kafkaesken kaum noch zu deckende Weise übel mitspielt.

3. August 2009