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REPRESSION/1338: Abu Rideh ... ein Opfer des Terrorkriegs in der EU (SB)



Kritik an Guantanamo ist zwar in aller Munde, doch das, was Terrorverdächtigen in der EU widerfahren kann, belegt, daß man sich diesseits wie jenseits des Atlantiks prinzipiell über die Relativität grundrechtlicher Schutzfunktionen einig ist. Zu den diversen Opfern des in der EU unter Vorspiegelung rechtsförmigen Prozederes geführten Terrorkriegs gehört der palästinensische Flüchtling Mahmoud Abu Rideh. Sein acht Jahre währendes Martyrium endete voraussichtlich letzten Freitag mit der vom britischen Innenministerium erteilten Erlaubnis, das Land verlassen zu dürfen. Abu Rideh hatte 1997 in Britannien Schutz vor politischer Verfolgung durch die israelischen Behörden gesucht, nur um vom Regen in die Traufe zu gelangen.

Der mit einer britischen Staatsbürgerin verheiratete Vater von sechs Kindern wurde am 19. Dezember 2001 in einer überfallartigen Aktion von 30 Polizisten, die nicht davor zurückschreckten, den kleinen Kindern die Mündungen ihrer Waffen ins Gesicht zu halten, unter Einsatz massiver Gewalt und ohne Angabe von Gründen als mutmaßlicher Terrorist verhaftet und in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbracht. Seine Frau Dina al Jnidi, die die Leidensgeschichte ihrer Familie in einem Artikel der Tageszeitung The Independent (03.07.2009) erzählt, wurde 40 Tage lange von den Behörden im Dunkeln darüber gelassen, was mit ihrem Ehemann geschehen ist. Zudem waren sie und ihre Kinder schutzlos den Anfeindungen und Nachstellungen selbsternannter Terrorjäger unter ihren Nachbarn ausgesetzt.

Vier Jahre lang blieb Abu Rideh in Einzelhaft. Besuche seiner Familie wurden dadurch, daß er aufgrund der psychischen Schäden, die er aufgrund der extremen Haftbedingungen erlitt, in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Anstalt für Hochsicherheitgefangene verlegt wurde, für längere Zeit unmöglich. In dieser Haftanstalt wurde Abu Rideh, der mit selbstzerstörerischen Aktionen auf seine Torturen reagierte, von den Wächtern, vom medizinischen Personal wie von anderen Gefangenen mißhandelt.

Nach vier Jahren Einzelhaft unter verschärften Bedingungen, in denen dem Gefangenen niemals etwas über die geheimdienstlichen Behauptungen mitgeteilt wurde, wegen der er überhaupt festgehalten wurde, kehrte Abu Rideh schließlich zu seiner Familie zurück. Das bedeutete jedoch nicht, daß er sich wieder wie ein normaler Bürger frei bewegen konnte. Als nach wie vor Terrorverdächtiger wurde er unter ein Regime von Kontrollauflagen, sogenannte Control Orders, gestellt. Dieses mit dem Prevention of Terrorism Act 2005 eingeführte System der präventiven Freiheitseinschränkung wird über Menschen verhängt, die zwar mangels jeglicher Beweise für eine Straftat nicht vor Gericht gestellt werden können, die jedoch aufgrund meist geheimer Informationen als "Gefährder", wie es in der Bundesrepublik heißt, gelten.

Um eine Kontrollauflage zu verhängen, muß der britische Innenminister laut diesem Gesetz lediglich "angemessene Gründe" dafür haben, eine Person "terrorismusbezogener Aktivitäten" zu verdächtigen. Die dazu in Anspruch genommenen Informationsquellen muß er nicht offenlegen, so daß sie durch einen Rechtsanwalt nicht in Frage gestellt werden können. Um eine unbescholtene Person als Terrorverdächtigen abzustempeln reicht es aus, wenn der Betroffene andere Personen in ihrem angeblich terroristischen Verhalten "begünstigt", "ermutigt" oder "unterstützt". Das gilt auch für den Fall, daß diese Personen lediglich dafür "bekannt" sein sollen oder oder daß man von ihnen "vermutet", in "terrorismusbezogene Aktivitäten" verstrickt zu sein. Der Phantasie sind mithin keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, über vermeintliche Staatsfeinde oder deren Bekannte einen individualisierten Ausnahmezustand zu verhängen und ihre Rechte praktisch nach Belieben einzuschränken.

Die ohne richterliche Anordnung und zeitliche Befristung verhängten Control Orders, die "verbunden mit dem Zweck, die weitere Verstrickung jenes Individuums in terrorismusbezogene Aktivitäten zu verhindern oder einzuschränken", ausgesprochen werden, können die Bewegungsfreiheit einer Person mittels Hausarrests vollständig aufheben, sie aber auch daran hindern, ins Vereinigte Königreich einzureisen, es zu verlassen oder bestimmte Regionen des Landes zu besuchen. Ganz nach dem Vorbild der Antisocial Behaviour Orders (ASBOs), mit denen auf Gemeindeebene individuelle Formen der Freiheitsberaubung im Vorfeld strafrechtlicher Maßnahmen erwirkt werden können, kann das Verlassen des Hauses, der Besuch bestimmter Orte und Straßen einer Gemeinde oder das Überschreiten der Landesgrenzen verboten werden.

Zu den Bewegungsverboten kann sich die Auflage gesellen, den Behörden mittels permanenter Satellitenüberwachung Aufschluß über den jeweiligen Aufenthaltsort zu verschaffen. Dem Terrorverdächtigen kann untersagt werden, mit der Presse über seinen Fall zu sprechen. Ihm kann der Kontakt mit bestimmten Personen oder die Nutzung des Telefons und Computers verboten werden. Ihm kann der Erwerb bestimmter Güter oder die Inanspruchnahme bestimmter Dienstleistungen verboten werden. Ihm kann untersagt werden, einen bestimmten Beruf auszuüben oder überhaupt arbeiten zu gehen, und er kann zum Opfer routinemäßig durchgeführter Hausdurchsuchungen werden, ohne sich rechtlich dagegen wehren zu können. In allen Fällen mitbetroffen sind Angehörige und Freunde, die hinsichtlich der gegen einen Terrorverdächtigen gerichteten Maßnahmen keinen größeren Rechtsschutz genießen als dieser selbst.

Abu Rideh wurde mit Control Orders belegt, laut denen er sich mehrmals täglich bei seinen Überwachern melden mußte, und zwar auch mitten in der Nacht. Er mußte eine elektronische Fußfessel tragen, damit überwacht werden konnte, ob er sich an die Anweisung hält, sich zwölf Stunden jedes Tages zu Hause aufzuhalten. Dort elektronische Kommunikationsmittel wie ein Mobiltelefon oder einen ans Internet angeschlossenen Computer zu benutzen wurde der ganzen Familie untersagt. Nicht einmal MP3-Player oder Playstations durften die Kinder benutzen. Zudem hatte die Polizei praktisch alle wichtigen Dokumente konfisziert, die man benötigt, um ein normales bürgerliches Leben zu führen. Die Familie durfte nur Besucher empfangen, die nach einer aufwendigen Prozedur von den Sicherheitsbehörden auf Herz und Nieren ob ihrer Unbedenklichkeit geprüft wurden. Daß sich unter diesen Umständen auch nahe Verwandte nicht mehr trauen, sich auch nur telefonisch zu melden, kann nicht verwundern und ist allemal beabsichtigt, um den Druck auf den Delinquenten zu erhöhen.

Abu Rideh wurde mehrmals wegen angeblicher Verstöße gegen die insgesamt bis zu 250 Einzelauflagen, die über ihn verhängt wurden, verhaftet, unter anderem deshalb, weil seine Kinder von einem Freund eine Playstation geschenkt bekommen hatten. Nach vier Selbstmordversuchen und mehreren Hungerstreiks sowie aufgrund erheblicher psychischer Störungen ist nicht nur das Leben Abu Ridehs, sondern das seiner ganzen Familie zerrüttet. Aus diesem Grund ist seine Frau Dina al Jnidi mit den sechs Kindern im Mai zu ihren Eltern nach Jordanien zurückgekehrt. Zuvor hatten ihr beim Innenministerium angestellte Psychiater empfohlen, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, weil das besser für die Kinder wäre, was sie nicht tat. Die Auswirkungen der ständigen Erniedrigung und Nötigung, die die ganze Familie zu erleiden hatte, auf die Kinder sind für Menschen, die unter normalen Bedingungen leben, gar nicht vorstellbar. Der Ratschlag, den Mann einer Zwangslage mit möglicherweise tödlichem Ausgang, in die ihn die britische Regierung gebracht hat, zu überlassen, angeblich um die Kinder zu schützen, ist von einem Zynismus geprägt, der in Gesellschaften, deren Streitkräfte andere Bevölkerungen mit Krieg überziehen, um sie zu befreien, längst nicht mehr als solcher auffällt.

Der Erfolg, daß Abu Rideh nach acht Jahren in Haft und unter Kontrollauflagen Britannien verlassen kann, ist ein kleiner Erfolg inmitten einer großen Niederlage. Das Land, in dem er Schutz vor politischer Verfolgung gesucht hat, hat ihn ohne sichtbaren Grund zum Objekt einer verschärften Form der politische Verfolgung gemacht. Die dabei angewendete Präventivverurteilung bedroht auch in Zukunft alle Menschen, die auf diese oder jene Weise ins Räderwerk dieses kafkaesken Systems geraten. Dazu gehören alle EU-Bürger, denn auch sie werden in wachsendem Maße durch das Willkürregime eines Sicherheitsstaats gefährdet, der sich durch keine grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Hindernisse in seiner exekutiven Gewalt einschränken lassen will.

7. Juli 2009