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REPRESSION/1303: BKA trug zur Debatte der radikalen Linken bei (SB)



Die überraschende Erkenntnis, daß das Bundeskriminalamt sich an der sogenannten Militanzdebatte beteiligt hat, bei der im Rahmen der Autonomenzeitschrift interim über den gemeinsamen Kampf diskutiert wurde, ist nicht für den damit verbundenen Versuch von Bedeutung, die Homepage des BKA in eine Reuse des Staatsschutzes zu verwandeln. Die im Rahmen des Berliner "mg"-Verfahrens publik gewordene Praxis der Ermittler, mit Hilfe mindestens zweier von BKA-Beamten verfaßter Texte zur Militanzdebatte beizutragen, erinnert fatal an die Praxis der Sicherheitsbehörden, V-Leute nicht nur zur Aufklärung von Verbrechen einzusetzen, sondern diesen zum Zwecke ihrer Tarnung wie auch der politischen Einflußnahme einen informellen Freibrief zur Beteiligung an rechtswidrigen Taten auszustellen.

Die Verstrickung des Staatsschutzes in derartige Aktivitäten hat im "mg"-Verfahren gegen drei Antimilitaristen, denen Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen und Mitgliedschaft in der als kriminelle Vereinigung eingestuften "militanten gruppe" vorgeworfen wird, bereits Folgen gezeitigt, die eigentlich zur Einstellung des Prozesses führen müßten. Nur aufgrund einer Unaufmerksamkeit des BKA hat sich nach der Übergabe von Akten an die Verteidigung gezeigt, daß der Text "Über die Waffe der Kritik und die Kritik der Waffen oder Quo Vadis mg?" aus der Feder von BKA-Mitarbeitern stammte. Indem sich der Staat an einer aufgrund ihres Inhalts nicht namentlich geführten Diskussion beteiligte, bei der es maßgeblich um die "militante gruppe" ging, und der diesen Sachverhalt enthüllende Passus in den der Verteidigung bis dahin zur Verfügung stehenden Akten gleichen Wortlauts nicht vorhanden war, das heißt entfernt oder von vornherein ausgelassen wurde, ist letztlich die Zuverlässigkeit aller vom BKA stammenden prozeßrelevanten Akten in Frage gestellt.

Daß das Papier mit "Die zwei aus der Muppetshow" unterschrieben war, bedeutete nicht, daß sein in der interim vom 10. Februar 2005 veröffentlichter Inhalt nicht als genuine Meinungsbekundung wahrgenommen worden wäre. Das galt zumindest für den Berliner Verfassungsschutzbericht 2005, in dem aus nämlichem Dokument zitiert wurde, um die Relevanz der Militanzdebatte zu belegen. Die Frage, inwiefern man hier die Glaubwürdigkeit der beim BKA angesiedelten Verfasser untermauern wollte oder tatsächlich nicht wußte, daß das BKA eine originelle Form von Counterinsurgency betreibt, muß offen bleiben. Wenn sich das BKA an der Produktion für den Inlandsgeheimdienst observationswürdigen Materials beteiligt, dann gehen seine Aktivitäten jedenfalls weiter, als daß das Amt nur versuchte, die eigene Homepage mittels eines in den Text eingeflochtenen Verweises zu einer Anlaufstation für interessierte Linksradikale zu machen. Hätten diese tatsächlich Grund, den Zugriff der Ermittler zu fürchten, dann ist es wenig wahrscheinlich, daß sie den Köder überhaupt schluckten, geschweige denn dem BKA auf den Leim gingen und nachvollziehbare Internetspuren hinterließen. Für das BKA und andere Staatsschutzbehörden kann jedoch auch mit einem für konkrete Ermittlungszwecke untauglichen Instrument Legitimation und Handlungsbedarf produziert werden.

Schon die seit längerem bekannte - und laut einem Bericht des Spiegels (21.03.2009) nach acht Jahren nun auf Weisung des Bundesinnenministeriums eingestellte - Maßnahme, Besucher der Homepage des BKA zu erfassen, zu identifizieren und möglicherweise zum Ziel von Ermittlungen zu machen, kann das Vertrauen des Bürgers in diese Bundesbehörde nicht eben stärken. Besonders bitter stößt in diesem Zusammenhang auf, daß sich BKA-Beamte nicht nur als Autoren linksradikaler Texte hervortun, sondern daß sie aus der Analyse des szenetypischen Jargons Verdachtsmomente generieren, die im Falle des Stadtsoziologen Andrej Holm zu dessen Inhaftierung wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung führten. Dies bewirkt letztlich, daß nicht nur die Autoren als staatsfeindlich eingestufter Texte kriminalisiert werden, sondern ihre Sprache - und das damit verbundene Denken - selbst zum verbotenen Territorium erklärt wird.

Die auch im "mg"-Verfahren vorherrschende Praxis einer Staatsschutzzielen verpflichteten Justiz, aus bloßen Vergleichen Plausibilitäten und Indizien zu schöpfen, die zu handfesten Tatvorwürfen verdichtet in exekutiven Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Haftstrafen resultieren können, dokumentiert die Fragwürdigkeit ihrer Rechtsprechung. Wer es ernst meinte mit der unter politischen Verantwortungsträgern verbreiteten Rechtsstaatsrhetorik müßte gerade dort, wo mit Mitteln wie anonymen Zeugen, Geheimdiensterkenntnissen und Kollektivverdächtigungen gearbeitet wird, klare Linien ziehen. Daß dem nicht so ist und die spektakuläre Autorenschaft des BKA kaum Niederschlag in den bürgerlichen Medien gefunden hat, zeigt, daß Kritik am herrschenden System in dem Maße unerwünschter wird, in dem sie notwendiger ist.

30. März 2009