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REPRESSION/1293: Kinderpornografie als Vorwand zur Internet-Zensur (SB)



Mit harten Bandagen wird derzeit versucht, die von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen geforderte Sperrung kinderpornografischer Seiten durchzusetzen. Die Bundestagsabgeordnete der CDU Ilse Falk bezichtigte die Kritiker dieser Maßnahme eines "verantwortunglosen" "Störfeuers". Diese Seiten seien "keine Kunst, die es zu schützen gilt", und ihre "Sperrung gefährdet auch nicht das Grundrecht auf Kommunikation", heißt es in einer Presserklärung der Politikerin in völliger Mißachtung der Argumente, mit denen Provider und Bürgerrechtler gegen den Vorstoß der Ministerin angehen.

Diesen geht es nicht um Fragen guten oder schlechten Geschmacks, besteht doch Einigkeit darüber, daß niemand die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet unterstützt. Während die Provider vor allem aus geschäftlichem Interesse gegen die ihnen dadurch entstehenden Kosten und die damit einhergehende Verlangsamung des Datenverkehrs argumentieren, macht der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), Andy Müller-Maguhn, prinzipielle Einwände gegen das Vorhaben geltend. Für ihn handelt es sich um einen "Versuch des Bundesinnenministers, eine 'freiwillige' Vorzensur ohne gesetzliche Grundlage zu schaffen", mit der letztlich eine "Zensurautomatik für Internetseiten" eingeführt werden soll. Müller-Maguhn verweist zu Recht darauf, daß man sich dabei eines Straftatbestandes bediene, "mit dem am ehesten gesellschaftliche Akzeptanz für Sperrmaßnahmen erreicht werden kann" (CCC-Pressemitteilung, 13.02.2009), um die einmal etablierte Zensur anschließend auf andere Bereich auszuweiten.

Für die Praxis einer schleichenden Aushöhlung der Bürgerrechte mit Hilfe populistischer Kampagnen etwa gegen Kinderschänder, Sozialbetrüger oder Terroristen gibt es zahlreiche Beispiele, die belegen, daß die Einführung einer exekutiven Maßnahme selbst bei zuvor unterstellter Begrenzung auf eben diesen Straftatbestand regelmäßig als Einstieg in die Ausweitung derartiger Kompetenzen fungiert. Die mögliche Anonymität der Nutzer des Datennetzes und die Freizügigkeit der verfügbaren Inhalte sind staatlichen Behörden seit langem ein Dorn im Auge, wie etwa die völlig übertriebene Rhetorik über das Internet als "Fernuniversität des Terrors" oder Versuche, sicherheitsrelevante Begriffe zu indizieren und von der Nutzung in Suchmaschinen auszuschließen, belegen.

Laut dem Vertragsentwurf, den der CCC ins Netz gestellt hat, sollen sich die Internet Service Provider (ISP) dazu verpflichten, anhand geheimzuhaltender Sperrlisten, die das Bundeskriminalamt (BKA) ihnen an jedem Werktag zustellt, darin aufgeführte Webseiten für ihre Kunden zu sperren. Laut dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (BITKOM), Bernhard Rohleder, gibt es bereits Vorschläge, diese Maßnahme auch gegen "rechtsradikale Inhalte, (...) terroristische Inhalte, gegen islamistische Inhalte, bis hin zu einfachen Urheberrechtsverletzungen" (Deutschlandfunk, 14.02.2009) einzusetzen. Wie naheliegend diese Entwicklung ist, zeigt auch das Beispiel der traditionsreichen anarchistischen Zeitschrift Graswurzelrevolution. Ihre Homepage wurde mittels eines vielfach verwendeten Schulfilters gesperrt, um den Horizont der betroffenen Jugendlichen auf staatskonforme Enge zu trimmen [siehe dazu INFOPOOL - MEDIEN - ALTERNATIV-PRESSE - Graswurzelrevolution/969].

Der politische Druck, der von Politikern wie Ilse Falk ausgeht, belegt, daß die unterstellte Freiwilligkeit, sich als ISP auf diesen Vertrag mit dem BKA einzulassen, nicht wirklich gegeben ist. So könnte es zu einem Qualitätsmerkmal eines Diensteanbieters werden, daß die von ihm verfügbar gemachten Seiten frei von kinderpornografischen Inhalten wären, was für die nicht vertraglich an das BKA gebundene Konkurrenz womöglich bedeutete, mit einem Schmuddelimage kontaminiert zu werden. Das gleiche gilt für Internet-Nutzer, die als Kunden eines nicht durch das BKA regulierten Providers vorverdächtigt werden könnten.

Der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, spricht sich denn auch für die Nutzung aller konventionellen polizeilichen Mittel zur Verfolgung der Anbieter von Kinderpornografie aus, pocht jedoch auf ein korrektes legislatives Verfahren zur Etablierung weitergehender Maßnahmen. Seiner Ansicht nach versuche von der Leyen, ihr Ziel auf Basis eines zivilrechtlichen Vertrags durchzusetzen, weil eine gesetzliche Sperrverfügung dieser Art bislang keine Chance auf eine parlamentarische Mehrheit habe. Daß dies nicht so bleiben muß, sondern noch weiterreichende Zensurmaßnahmen durchaus eines Tages mit ausreichender politischer Unterstützung erlassen werden könnten, belegt zum einen die entsprechende Initiative im Europaparlament, die dort schon seit längerem mit erheblichem Nachdruck verfolgt wird, und geht zum andern aus der von Sicherheitspolitikern immer wieder beklagten Umgehbarkeit aller nationalen Versuche, Kontrolle über Internet-Angebote zu erlangen, hervor.

Laut einem von Tauss in Auftrag gegebenen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags ist die Sperrung von Inhalten im Internet aufgrund des dezentralen Charakters des Netzes technisch nicht zuverlässig durchzuführen, zudem erzeuge sie erhebliche Rechtsunsicherheit, gefährde die Kommunikationsfreiheit und erschwere die Strafverfolgung. Um die technische Problematik zu bewältigen, müsse man den gesamten Datenverkehr über einen zentralen Rechner leiten, wie es in Staaten wie China praktiziert wird, deren Bürger nicht auf alle weltweit verfügbaren Webseiten zugreifen können (Deutschlandfunk, 14.02.2009). Die Bundesfamilienministerin hat das neutrale Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes als "einseitig ausgelegt und zudem interessegeleitet" verworfen und damit die Kompetenz dieser wichtigen parlamentarischen Beratungsinstitution in Frage gestellt.

Daß es eines Tages, etwa nach einem größeren Anschlag, auch in liberalen Staaten westlichen Zuschnitts zu einer zentralen Zensur des Internets kommt, ist keineswegs ausgeschlossen. Neben einer chinesischen Lösung wäre auch der administrative Zugriff auf die zentralen Strukturen der Internet-Adressverwaltung vorstellbar. Auf jeden Fall erzeugt der von Sicherheitspolitikern beklagte Kontrollverlust einen desto größeren Handlungsbedarf, je mehr die Bedeutung des Datennetzes als Informations- und Mobilisierungsinstrument oppositioneller politischer Bewegungen zunimmt. Daß dies im Rahmen der Weltwirtschaftskrise der Fall sein wird, ist ebenso naheliegend, als es vor diesem Hintergrund zu Maßnahmen staatsautoritärer Art gegen mögliche Proteste und Aufstände verarmter und hungernder Menschen kommen wird.

16. Februar 2009