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USA/390: Die eiernde Lady - Hillary Clintons bisherige Politikbilanz (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/2015

Die eiernde Lady
Hillary Clintons bisherige Politikbilanz

Von Michael Bröning


Ich weiß: Hillary Clinton ist das kleinere Übel. Zumindest angesichts eines republikanischen Kandidatenfeldes, das Mexikaner abweisen, Abtreibungsbefürworter einweisen und die Regierung in Washington am liebsten ausweisen würde. Anders als Donald Trump & Co wirkt sie immerhin weder wie ein Wolf im Schafs- noch wie ein Schaf im Wolfspelz. Nur: Reicht das?

Clinton-Anhänger verweisen gerne auf zwei besondere Vorzüge ihrer Kandidatin: Ihre Vorreiterrolle als mögliche erste Madam President und ihre Erfahrungen als First Lady, Senatorin und Außenministerin a.D. An Punkt eins ist nichts zu rütteln. Doch ihr angeblich so überzeugender Erfahrungsschatz erweist sich bei näherer Betrachtung nicht gerade als Empfehlung.

Dank Gesundheitsreform, Iran-Deal und der Kuba-Öffnung dürfte Barack Obamas Präsidentschaft künftig doch als weichenstellend bewertet werden. Für Clinton lässt sich Ähnliches nicht behaupten - auch nach 14 Jahren eigenständiger Spitzenpolitik. Erfolgreich war sie bislang nur im Wechseln politischer Überzeugungen.

Beispiel Innenpolitik: In direkter Herausforderung durch den »demokratischen Sozialisten« Bernie Sanders bemüht sich Clinton jetzt um ein stärker linkes Profil. Selbst gegen das Freihandelsabkommen TPP hat sie sich nun gewendet. Doch wie überzeugend ist das für eine Kandidatin, die sich zuvor volle 45 Mal öffentlich für das Abkommen ausgesprochen hat? In der ersten demokratischen Kandidatendebatte verkaufte Clinton ihren Sinneswandel als Pragmatismus. Doch Fakt ist, dass sie über Jahre hinweg einen Casino-Kapitalismus verteidigt hat, von dem nicht zuletzt die 100 Millionen US-Dollar schwere Clinton-Dynastie und ihre Familienstiftung selbst profitiert hat.

Laut Umfragen ist ausgerechnet die Spitzenfrau der Demokraten Liebling der Millionäre: 31 % des US-Geldadels sprechen sich für sie als Präsidentin aus (an zweiter Stelle folgt Jeb Bush mit 18 %). Da überrascht es nicht, dass sich die Liste der Clinton-Unterstützter mit Citigroup, Lehman Brothers und Goldman Sachs wie ein Who is Who der Bankenkrise liest. Zu Recht fragte deshalb kürzlich der konservative Spectator, wie glaubwürdig Clintons aktuelle Rufe nach einer gerechten »Wirtschaft von morgen« wirklich seien. Ihr abgehobenes Umfeld sei ganz offensichtlich überglücklich mit der Wirtschaft von heute. Dazu passt, dass sie offen damit kokettiert, seit 1996 kein Auto mehr selbst gesteuert zu haben.

Weit desaströser noch ist Clintons außenpolitische Bilanz. Sicher, US-Fehltritte im Nahen Osten begannen nicht mit Hillary Clinton. Doch ihr ganz persönlicher politischer »Erfolg« in der Region gleicht einem diplomatischen Hattrick - mit drei Eigentoren. Es gehört schon Einiges dazu, als Senatorin zunächst für den desaströsen Irak-Krieg, dann gegen die erfolgreiche Truppen-Aufstockung unter General Petraeus und schließlich für einen verfrühten Abzug der US-Truppen aus dem Zweistromland zu votieren. Hillary machte es möglich - mit den bekannten Folgen in Sachen Islamischer Staat.

Ähnlich katastrophal auch ihre Libyen-Politik - ganz unabhängig vom Bengasi-Skandal. Fast im Alleingang brachte Clinton Washington dazu, gegen das Gaddafi-Regime zu intervenieren. Wohlmerklich ohne die leiseste Idee einer Ahnung, wie das entstehende Machtvakuum auszufüllen sei. Die Folge: die Implosion des Landes mit politischen Konsequenzen bis zur Migrationskrise im Mittelmeer. Trotz der vernichtenden Interventionsbilanz stand und steht Clinton weiter unerschütterlich für mögliche Militärschläge gegen den Iran. Das diplomatische Ringen um das Atomabkommen beobachtete sie dabei nur aus der Ferne. Noch heute vertritt sie eine Position, die den Deal zwar mitträgt aber bei einem Scheitern zugleich eine Distanzierung ermöglicht. Verglichen mit den ansonsten Clinton-typischen 180 Grad-Wenden mag das ein Fortschritt sein, doch moralische Eindeutigkeit geht anders. Die ist bei Clinton aktuell nur mit Blick auf Edward Snowden zu erleben. Der Whistleblower nämlich ist für sie ein gefährlicher »Helfer der Terroristen«.

Und was ist aus dem »Pivot to Asia«, der strategischen Hinwendung der USA in den asiatisch-pazifischen Raum geworden, den Clinton 2011 verkündete? Als Außenministerin ging ihre erste Reise nach China. Ansonsten überließ sie die Gestaltung des angekündigten »pazifischen Jahrhunderts« weitgehend dem Verteidigungsminister. Ebenfalls heikel: Ihre Eskalationsrhetorik in der Ukraine-Krise. Putin, ein Hitler des 21. Jahrhunderts, der nur mit Waffenlieferungen an Kiew zu stoppen sei.

Angesichts dieser Bilanz ist es fast schon ein Segen, dass der einzige außenpolitische Zusammenhang, in dem der Name Clinton derzeit fällt, der Skandal um die Nutzung ihrer privaten E-Mails ist. Der Hintergrund ist dabei so banal wie toxisch: In bester Tradition der stets ungezwungenen Beziehung Clintons zu Vorschriften nutzte sie für Amtsgeschäfte ihren privaten Account. Für Aufregung sorgt dabei nicht zuletzt das Handling der Krise, welches wie so oft im Hause Clinton auf öffentlichen Krokodilstränen und dem professionellen Verquicken von Halb- mit Viertelwahrheiten beruht.

Der Fall hat sich mittlerweile zu einer tiefen Vertrauenskrise ausgewachsen: Schien die Nominierung Clintons Anfang des Jahres unausweichlich, gerät sie nun durchaus unter Druck. Immer häufiger taucht die Frage nach der authentischen Hillary auf - nach der humanen Kandidatin hinter dem Spin. Sicher, angesichts des US-Politikbetriebes ist diese Suche ungefähr so vielversprechend wie die nach Intimität in einer Zirkusmanege. Und doch muss Clinton reagieren. Nur so erklärt sich das jüngst inflationäre Ausspielen der Großmutter-Karte: »Ich als Großmutter mit Verstand« oder noch stärker auf das Basale heruntergebrochen: »Ich als normaler Mensch«. Unwahrscheinlich, dass das verfängt. Naiv kann man schließlich nicht so einfach werden. Selbst die demokratenfreundliche New York Times fragte jüngst entnervt: »Wie kann man dem Vorwurf der Berechnung nur so berechnend begegnen?«

Am Ende dürfte es dennoch auf Clinton als Kandidatin hinauslaufen. Mit ihren Mainstream-Positionen und der Fülle an politischen Unterstützern ist sie heute weit besser aufgestellt als bei ihrem ersten Versuch 2008. Ihre Kriegskasse ist gefüllt und das Narrativ eines plötzlichen Clinton-Comebacks nach einem Flirt mit ihren demokratischen Konkurrenten langfristig durchaus medial attraktiv. Schon 2008 unterlag Clinton dem Phänomen Obama nicht ohne harten Kampf und Vorwahlsiegen in 21 Bundesstaaten. Von einem vergleichbaren Wirbelsturm des Gegenwindes ist Clinton heute noch weit entfernt. Ihre Gegenspieler sind - bei allen Stärken - mit Barack Obama nicht zu vergleichen. Doch das gilt leider auch für Hillary Clinton selbst.


Michael Bröning ist Referatsleiter Internationale Politikanalyse in der FES. Zuletzt erschien bei Palgrave: Political Parties in Palestine - Leadership und Thought.
michael.broening@fes.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 11/2015, S. 11 - 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2015

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