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USA/318: Aus Enttäuschung könnte Misstrauen werden - Kritik an US-Lateinamerika-Politik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Januar 2011

USA: Aus Enttäuschung könnte Misstrauen werden - Kritik an US-Lateinamerika-Politik

Von Jim Lobe


Washington, 13. Januar (IPS) - Brasiliens ehemaliger Staatspräsident Inácio Lula da Silva nahm kein Blatt vor den Mund. An den Beziehungen der USA zu den lateinamerikanischen Ländern habe sich seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama vor zwei Jahren nichts geändert, erklärte er unlängst zum Missfallen US-amerikanischer Regierungsvertreter. Unabhängige Analysten halten seine Kritik jedoch für mehr als berechtigt. Sie warnen davor, dass die Enttäuschung zu Misstrauen führen könnte.

Wie der Lateinamerika-Experte Abraham Lowenthal, Gründungsmitglied der Denkfabrik 'Inter-American Dialogue' (IAD), kürzlich auf einem Forum der 'Brookings Institution', berichtete, waren die Anfänge der Obama-Administration durchaus viel versprechend gewesen. Dann jedoch sei alles schief gelaufen.

In wichtigen Fragen sei Obama hinter seine Zusagen auf dem Trinidad-Gipfeltreffen der Amerikas im April 2009 zurückgefallen, mit seinen südlichen Nachbarn einen Umgang des gegenseitigen Respekts zu pflegen. So gelang es Obama nicht, die US-kubanischen Beziehungen zu normalisieren. Für Enttäuschung sorgte zudem die Art und Weise, wie die USA auf den Staatstreich gegen den honduranischen Staatspräsident reagierte.

Schlecht kam an, dass Obama sein Versprechen nicht anhalten konnte, das Haftzentrum auf dem US-Stützpunkt Guantánamo zu schließen, ebenso der Umstand, dass er mit seinen Alliierten keine Rücksprache über beendete Abkommen mit Kolumbien über den Zugang zu den Militärbasen beraten hatte. Auch die brüske ablehnende Reaktion auf die Bemühungen Brasiliens, die wachsenden Spannungen zwischen USA und Iran abzubauen, trug nicht eben zu einer Verbesserung der Beziehungen bei.


"Mehr als enttäuschend"

Ebenso desillusionierend wirkt nach Ansicht US-amerikanischer Analysten das Versagen Washingtons, den Kongress zur Verabschiedung einer umfassenden Einwanderungsreform zu bewegen oder ein Gesetz durchzubringen, das Drogenkartellen den Zugang zu US-Waffen erschwert. "Es ist mehr als enttäuschend", meinte Lowenthal, Mitherausgeber des neuen Buchs 'Shifting the Balance: Obama and the Americas' ('Eine andere Gewichtung - Obama und die Amerikas').

"In Lateinamerika wurden größere Änderungen (unter der George W. Bush-Regierung) in Schlüsselbereichen sehr geschätzt, doch wird auch viel von 'Enttäuschung' oder auch 'Irreführung' gesprochen", sagte der Experte. Diese Enttäuschung könnte sich nach Ansicht von Analysten in den nächsten zwei Jahren noch vergrößern, da von der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus eine Verbesserung der Beziehungen US-lateinamerikanischen Staaten nicht zu erwarten sei.

Schon die neue Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses und erklärte Kuba-Feindin, Ileana Ros-Lehtinen, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie Versuche Obamas torpedieren wird, das 50-jährige Handelsembargo gegen Kuba zu lockern. Auch ließ sie wissen, dass sie Bemühungen um eine Entspannung der Beziehungen zu Venezuela und dessen Bündnispartnern der Bolivarischen Alternative für die Amerikas (ALBA) wie Nicaragua und Bolivien entgegenwirken werde.

Mit ihrer altbekanntem Schwarz-Weiß-Malerei würden die USA jedoch bei den meisten lateinamerikanischen Regierungen auf Befremden stoßen, warnte Geoffrey Thale, Programmdirektor des 'Washington Office on Latin America' (WOLA).

Doch in einem kürzlich veröffentlichten Memo forderte das neokonservative 'American Enterprise Institute' (AEI) den US-Kongress dazu auf, Venezuelas ölabhängigen Staat mit Sanktionen solange zuzusetzen, bis das Land "seine aggressiven und illegalen Aktivitäten einstellt".

Das Memo mit dem Titel 'Latin American Action Agenda for the New Congress' (Lateinamerikanischer Aktionsplan für den neuen Kongress) aus der Feder von Bushs ehemaligem Lateinamerikaberater Roger Noriega, wirft dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez unter anderem vor, "Irans terroristischem Staat eine strategische Plattform zu bieten". Darin werden Sanktionen gegen den staatlichen venezolanischen Ölkonzern PDVSA gefordert, sollte Caracas nicht nachweisen können, dass es mit dem Iran keine Geschäftsverbindungen unterhält.

Auch wenn die US-Regierung und der von Demokraten kontrollierte Senat die Umsetzung dieser Vorschläge verhindern können, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die radikalen Forderungen der Konservativen die Öffentlichkeit doch noch beeinflussen und einen Rechtsruck verursachen.


Gefahr der verpassten Gelegenheit

"Eine solche Entwicklung würde Chávez in die Hände spielen", warnte Ted Piccone, Vizedirektor für Außenpolitik des Brookings Institutes. Wie er betonte, vollzieht sich in Kuba derzeit ein Wandel. "Wir sind dabei, den Zeitpunkt zu verpassen, auf den Zug aufzuspringen. Wir sind in der Rhetorik des Kalten Krieges (...) steckengeblieben."

Doch nach Ansicht des Staatssekretärs für Lateinamerika im US-Außenministerium, Arturo Valenzuela, hat erst Obama die Gefahr gebannt, dass immer mehr lateinamerikanische Länder eine ablehnende Haltung gegenüber den USA einnehmen. Wie auch er auf dem Forum des Brookings Institute erklärte, sind in den meisten lateinamerikanischen Ländern zwei Drittel der Bevölkerung positiv gegenüber den USA eingestellt. Das sei vorher nicht der Fall gewesen.

Valenzuela zufolge ist der Zugewinn von Ansehen nicht zuletzt die Folge der horrenden finanziellen Mittel und Bemühungen, die die USA für den Wiederaufbau Haitis, die Merida-Initiative zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Mexiko und Zentralamerika und den Aufbau einer starken Partnerschaft mit Brasilien, Kolumbien, Peru und Chile aufgebracht hat.

Lowenthal räumte ein, dass Lulas Einschätzung der US-lateinamerikanischen Beziehungen übertrieben erscheinen mag, doch drängte er die Obama-Regierung zu der Entwicklung einer "strategischen Vision" zur Verbesserung der interamerikanischen Beziehungen im Sinne seiner Trinidad-Zusagen. Eine gute Gelegenheit dafür bietet sich seiner Meinung nach am 13. März, wenn die Allianz für den Forschritt des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy 50. Jahre alt wird. (Ende/IPS/kb/2011)

Links:
http://www.thedialogue.org/
http://www.wola.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=54100

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011