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LATEINAMERIKA/2099: Brasilien - Lulas Besuch macht auf bedrohliche Lage der Yanomami aufmerksam (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien
Lulas Besuch macht auf bedrohliche Lage der Yanomami aufmerksam


Die humanitäre Tragödie der indigenen Gemeinschaften Brasiliens hat in den letzten Tagen öffentliche Aufmerksamkeit erregt, Der extremen Rechten gelingt es nicht, davon abzulenken.

(São Paulo, 23. Januar 2023, brasil de fato) - Die humanitäre Tragödie der indigenen Gemeinschaften Brasiliens hat in den letzten Tagen öffentliche Aufmerksamkeit erregt, insbesondere nach dem Besuch von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei den Yanomami im Bundesstaat Roraima. Der Präsident wurde dabei begleitet vom Minister für soziale Entwicklung Wellington Dias, Gesundheitsministerin Nisia Trindade und der Ministerin für indigene Gemeinschaften Sonia Guajajara. Der Besuch stellt einen drastischen Wandel gegenüber der Politik der Vorgängerregierung von Jair Bolsonaro dar. Im Gegensatz zu dieser beabsichtigt die neue Regierung den illegalen Bergbau auf indigenen Gebieten und seine Auswirkungen zu bekämpfen. "Es wird keinen illegalen Bergbau mehr geben. Ich kenne die Schwierigkeiten bei der Unterbindung des illegalen Bergbaus. Ich weiß, es wurde versucht und sie kamen zurück. Aber wir werden es schaffen", sagte Lula am 21. Januar nach dem Besuch eines indigenen Krankenhauses und des indigenen Gesundheitszentrums in Boa Vista, der Hauptstadt von Roraima. "Wenn mir jemand gesagt hätte, dass den Leuten hier in Roraima eine so unmenschliche Behandlung widerfährt, hätte ich es nicht geglaubt. Wir können nicht verstehen, wie wir in Brasilien, einem Land mit solchen Ressourcen, unsere indigenen Gemeinschaften so vernachlässigen können", sagte der Präsident.

In einer 24-stündigen Social-Media-Kampagne versuchte die extreme Rechte, die Aufmerksamkeit von dem Präsidentenbesuch abzulenken, was ihr aber nicht gelang, wie Pedro Barciela, Online-Analyst für soziale Medien mit Schwerpunkt Politik, feststellt. "Der Besuch eines Präsidenten ist nie nur ein Besuch. Es ist auch eine Möglichkeit, die Debatte zu bestimmen. So lenkte Lula die Aufmerksamkeit auf das Thema und weg von den Kampagnen der extremen Rechten", schreibt der Analyst auf seinem Twitter-Profil. In 24 Stunden sei die Situation der Yanomami 5-mal häufiger erwähnt worden als in sieben Tagen die Fake News über das Auxílio-Reclusão-Gesetz (die Rechte hatte immer wieder behauptet, diese Wiedereingliederungshilfe für Häftlinge liege über dem brasilianischen Mindestlohn, Anm. d. poonal-Red.). Eine ähnliche Beobachtung machte der Analyst beim Thema Abtreibung: "In nur 24 Stunden wurden die Yanomami 1,5-mal häufiger erwähnt als der Begriff 'Abtreibung' in der ganzen letzten Woche. Die intensiven Bemühungen der Bolsonaro-Anhänger, der Regierung den Diskurs vorzuschreiben, waren vergeblich." Die extreme Rechte und Bolsonaro selbst wollten die Berichte aus den Yanomami-Gebieten als "Farce der Linken" diskreditieren. Dieser Versuch scheiterte jedoch angesichts der erschreckenden Bilder von unterernährten Kindern, Ernährungsunsicherheit und Vernachlässigung.

Ausnahmezustand

Am 20. Januar erklärte das Gesundheitsministerium den Ausnahmezustand, um Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Yanomami zu ergreifen. Dazu gehört der Einsatz von medizinischen Hilfeteams einschließlich der vorübergehenden Einstellung von Fachkräften sowie der Erwerb von Gütern und die Vergabe von Dienstleistungen, die für die Einsätze erforderlich sind. Zudem wurde eine Koordinierungsstelle eingerichtet (Comitê de Coordenação Nacional para Enfrentamento à Desassistência Sanitária das Populações em Território Yanomami), die sich mit den vielfältigen Problemen im Yanomami-Gebiet befassen soll, um das "Problem der Unterernährung, des Hungers und der Gesundheit anzugehen, das in dieser Region sehr ernst ist", so Minister Wellington Dias. Die Stelle wird für 90 Tage tätig sein und von den Streitkräften sowie der Nationalen Stiftung für indigene Gemeinschaften (Fundación Nacional de los Pueblos Indígenas, Funai) unterstützt.

Illegaler Bergbau

In den letzten Jahren hat sich die Lage der Yanomami erheblich verschlechtert. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums "gab es Fälle von Unterernährung und Ernährungsunsicherheit, insbesondere bei den mehr als 5.000 Kindern in der Region. Das medizinische Personal berichtet von Menschen, die zu schwach sind, um sie behandeln zu können, was die medizinische Versorgung der Indigenen noch schwieriger macht."

Eine der Hauptursachen waren die Abmachungen des ehemaligen Präsidenten Bolsonaro mit den Betreibern illegaler Minen in der Region. Laut Ivo Cípio Aureliano, Angehöriger der Macuxi-Gemeinschaft und Rechtsberater des Indigenen Rates von Roraima (Consejo Indígena de Roraima, CIR), ist "der gesamte Bergbau in Roraima illegal und befindet sich in indigenen Gebieten. Indem die Bolsonaro-Regierung das Gesetz 191/2021 in den Kongress eingebracht hat, gab sie ein Versprechen zur Legalisierung der Minen. Dies führte zu einer Invasion von Bergbauern in der Region, die immer stärker stärkeren Druck auf die Indigenen ausübten, die Minen zu akzeptieren. Schließlich wendeten sie verschiedenste Formen der Gewalt an.

Dem Indigenenrat zufolge waren im Jahr 2021 allein im Gebiet Raposa Serra do Sol, dem Territorium der Macuxi in Roraima, schätzungsweise 2.000 illegale Bergleute aktiv. Im Yanomami-Gebiet waren es vermutlich 20.000. "In der Region Raposa Serra do Sol entstand 2018 der Bergbauort Garimpo do Atola, auch Tarame genannt. Von dort kamen mehrere Bergleute in die in der Nähe liegenden Siedlungen Raposa I und Raposa II in der Gemeinde Napoleão und versuchten, die indigenen Anführer dazu zu bewegen, den Bergbau zu unterstützen, indem sie den Einheimischen eine prozentuale Beteiligung versprachen", so Aureliano. Der Bergbau hatte fatale Auswirkungen auf die Gemeinschaften. "Heute gibt es in dieser Mine mehrere Maschinen, die so genannten "Mühlen", die die Steine zerquetschen, um das Gold zu extrahieren. Das zerkleinerte Material wird dann gewaschen und der Abfall, einschließlich Quecksilber, wird in die nahe gelegenen Bäche und Seen entsorgt", sagt Aureliano.

Im Jahr 2020 hatte ein Berufungsgericht angeordnet, dass die Zentren zum Schutz der indigenen Gemeinschaften und der Natur (Bases de Proteção Etnoambiental, BAPE) im indigenen Yanomami-Gebiet ihre Arbeit wieder aufnehmen sollen. Darüber hinaus legte das Gericht Maßnahmen zur Überwachung und Bekämpfung des illegalen Bergbaus fest. Die Bundesrichterin Daniele Maranhão sagte damals, die Untätigkeit der Regierung "zeigt, dass mehr Maßnahmen notwendig sind, um die Ausbreitung von Virusepidemien und anderen Krankheiten, die durch die Vergiftung von Flüssen und Tieren mit Quecksilber verursacht werden, zu verhindern." Ebenfalls im Jahr 2020 stellte das Institut für Soziales und Ökologie (Instituto Socioambiental (ISA) fest, dass die schädlichen Auswirkungen des illegalen Bergbaus im Yanomami-Gebiet im Juni um ganze 179 Prozent im Vergleich zum Vormonat angestiegen sind. In dem Monat wurden 109 Hektar verschmutzt, im Vergleich zu 39,1 Hektar im Vormonat.


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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 7. Februar 2023

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