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REPRODUKTIONSMEDIZIN/165: Debatte - Legalisierung der Leihmutterschaft in Deutschland als Chance (pro familia)


pro familia magazin 1/2022
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.

Debatte: Legalisierung der Leihmutterschaft in Deutschland als Chance

von Jutta Pliefke und Katharina Rohmert


Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regularien für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Mutterschaft prüfen wird."

So steht es im Koalitionsvertrag der aktuell [Anm. der SB-Red. im Juli 2021] amtierenden Bundesregierung. Ein bemerkenswerter Schritt, im Vergleich zu: "Die Leihmutterschaft lehnen wir ab, da sie mit der Würde des Menschen unvereinbar ist" aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD der 18. Legislaturperiode.

Nach dem Embryonenschutzgesetz §1 Abs. 1 Nr. 7 ist eine Leihmutterschaft in Deutschland strafbar, ebenso wie die Beratung zu oder Mithilfe bei einer Leihmutterschaft im Ausland. Dieses Verbot stellt allerdings einen erheblichen Eingriff in die Fortpflanzungsfreiheit und in das Recht auf Familiengründung dar, argumentieren auch Juristen wie Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz, Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer.

Etwa ein Fünftel der Frauen und Männer in Deutschland zwischen 20 und 50 Jahren sind ungewollt kinderlos. Jedes sechste Paar mit Kinderwunsch ist von Fertilitätsstörungen betroffen. In etlichen Fällen werden medizinische Maßnahmen in Anspruch genommen, und so sind im Jahr 2019 21.588 Kinder mithilfe der Reproduktionsmedizin zur Welt gekommen (D.I.R.-Jahrbuch, 2. Oktober 2021). Die Inanspruchnahme einer Leihmutter kann für manche Menschen mit Kinderwunsch die einzige Möglichkeit sein, ein genetisch verwandtes eigenes Kind beziehungsweise überhaupt ein Kind zu bekommen. Für homosexuelle Paare oder alleinstehende Männer ist ein Kinderwunsch mit einem genetisch verwandten Kind auf anderem Weg nicht umsetzbar.

Unterschieden wird zwischen einer kommerziellen Leihmutterschaft, die gegen Bezahlung von Vermittlungsagenturen in Ländern, in denen dies zulässig ist, durchgeführt wird, und einer sogenannten altruistischen Leihmutterschaft, bei der keine Bezahlung der Leihmutter oder nur eine Aufwandsentschädigung erfolgt. Die Anzahl der an einer Leihmutterschaft interessierten Wunscheltern ist nicht bekannt. Durch viele ausländische Anbieter auf Internetportalen und gut besuchte Kinderwunschmessen hier in Deutschland ist aber von einem deutlichen Bedarf auszugehen. Deutschen Interessenten steht im Moment nur der Weg über Agenturen und Kliniken im Ausland offen. Informationen und Ansprechpartner*innen, die gezielt deutsche Menschen mit Interesse an einer Leihmutter ansprechen, finden sich im Internet ohne lange Suche. Kliniken in Russland, Georgien, der Ukraine, den USA und anderen Ländern platzieren dort ihre Angebote.

Alle Fachgesellschaften, Parteien und Verbände sind sich einig, dass das bestehende Embryonenschutzgesetz mangelhaft ist und einer Reform bedarf. Dabei muss eine zeitgemäße Reformierung aktuelle gesellschaftliche, medizinische und ethische Aspekte berücksichtigen, um Vorgaben zu machen, wie Fortpflanzungsmedizin zukünftig reguliert werden soll. Dafür lohnt sich auch der Blick ins Ausland. Es gibt eine Reihe von Ländern, in denen die Leihmutterschaft zugelassen ist und in denen versucht wurde, Antwort auf diese und andere Fragen zu finden.

Beispiel Niederlande

Es ist ausschließlich eine altruistische Leihmutterschaft möglich, und bei der Wunschmutter muss eine medizinische Indikation vorliegen. Die Wunscheltern müssen verschiedengeschlechtlich sein. Die Leihmutter muss bereits mindestens ein Kind geboren haben und darf nicht älter als 44 Jahre sein. Rechtliche Mutter ist zunächst die Leihmutter, sie trifft alle Entscheidungen während der Schwangerschaft und der Geburt. Die Wunscheltern adoptieren dann das Kind.

Beispiel England und Wales

Eine altruistische Leihmutterschaft ist grundsätzlich zulässig, die Zahlung einer gerichtlich festgelegten angemessenen Aufwandsentschädigung ist möglich. Die austragende Frau ist die rechtliche Mutter des Kindes und kann nicht zur Herausgabe gezwungen werden. Die endgültige Zustimmung kann frühestens sechs Wochen nach der Geburt erteilt werden. Die Elternschaft auf diesem Weg steht auch nicht verheirateten gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren offen.

Beispiel Israel

Ganz aktuell ist seit dem 1. November 2022 eine Elternschaft mithilfe einer Leihmutter in Israel auch für Single-Männer und homosexuelle Paare möglich. Israel setzt mit dieser Regelung eine Vorgabe des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2021 um. Der Ausschluss von Männern wird dort als "Verstoß gegen die Menschenrechte" bewertet. Eine Regelung für die Leihmutterschaft für heterosexuelle Paare und Frauen gibt es in Israel bereits seit 1996.

In vielen deutschen Medien waren 2020, zu Beginn der Pandemie, Bilder aus Säuglingsheimen in der Ukraine zu finden. Dort wurden von Leihmüttern ausgetragene und zurückgelassene Neugeborene versorgt, deren Wunscheltern nicht zu ihren Kindern reisen konnten. Auch haben Wunscheltern aus Deutschland immer wieder Probleme, die familiäre Zuordnung ihrer Kinder von deutschen Gerichten anerkennen zu lassen. Deshalb schließt die Stellungnahme der Leopoldina "Fortpflanzungsmedizin in Deutschland - für eine zeitgemäße Gesetzgebung von 2019" mit der Forderung, im Sinne des Kindeswohls zumindest die rechtliche Zuordnung zu den Wunscheltern zu ermöglichen sowie eine straffreie medizinische und psychosoziale Beratung zur Leihmutterschaft zu erlauben.

Die Frage nach der Zulässigkeit einer Leihmutterschaft ist komplex, da die Rechte und Wünsche verschiedener Parteien (Leihmutter, gegebenenfalls Eizellspenderin, Wunscheltern und Kind) sowie mögliche Folgen erfasst und gegeneinander abgewogen werden müssen.

Die psychologische Entwicklung der Kinder scheint nach der zur Verfügung stehenden Studienlage unauffällig zu verlaufen. Ebenfalls begrenzt sind die Untersuchungen, die die Folgen für die Leihmütter erheben. Es scheint aber so zu sein, dass die Situation der Leihmütter aus Entwicklungsländern nicht ohne Weiteres auf eine geregelte Leihmutterschaft in Europa übertragbar ist und die Art und Weise der rechtlichen, medizinischen und psychosozialen Regelungen entscheidend ist.

Längst ist in den Gegenargumenten und Fragen zur Leihmutterschaft alles problematisiert, was gesetzlich geregelt werden muss: was passiert zum Beispiels, wenn die Leihmutter das Kind nach der Geburt nicht abgeben will? Oder wer entscheidet über medizinische Fragen während der Schwangerschaft, wer bestimmt über die Inanspruchnahme beispielsweise von pränataler Diagnostik und deren mögliche Konsequenzen? Antworten braucht es jetzt schon, wenn Paare nämlich die Dienste einer Leihmutter im Ausland in Anspruch nehmen.

Ein fortbestehendes totales Verbot der Herbeiführung einer Leihmutterschaft löst die Problematik des Reproduktionstourismus nicht, verhindert eine gute medizinische Versorgung im eigenen Land und steht einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung eher im Wege. Kinderwunsch darf außerdem nicht vom Geldbeutel der Menschen abhängen, und das Recht auf Beratung - auch zu Leihmutterschaft - ist flächendeckend zu gewährleisten.


Über die Autorinnen:

Katharina Rohmert ist Ärztin und arbeitet beim pro familia Bundesverband und bei pro familia Darmstadt/Bensheim. Beide sind Mitglied im Fachausschuss Medizin des pro familia Bundesverbands.

Jutta Pliefke ist Ärztin bei pro familia Berlin.


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REPRODUKTIONSMEDIZIN/161: Zur Notwendigkeit eines Fortpflanzungsmedizingesetzes (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/162: Klinischer Alltag in der Reproduktionsmedizin (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/163: Für eine rechtebasierte Fortpflanzungsmedizin (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/164: Debatte - Gegen eine Legalisierung der Leihmutter*schaft (pro familia)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/ip_medizin_fachmed_reproduktionsmedizin.shtml

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 1|2022, S. 21-22
Herausgeber und Redaktion:
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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