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REPRODUKTIONSMEDIZIN/164: Debatte - Gegen eine Legalisierung der Leihmutter*schaft (pro familia)


pro familia magazin 1/2022
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.

Debatte: Gegen eine Legalisierung der Leihmutter*schaft - Die Position von pro familia NRW

von Dorothee Kleinschmidt und Gabrielle Stöcker, pro familia Landesverband Nordrhein-Westfalen


Für einige Menschen gibt es keine Möglichkeit, selbst eine Schwangerschaft auszutragen. Frauen* mit dem Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom haben von Geburt an keine Gebärmutter, bei vielen Frauen* mit dem Ashermann-Syndrom verhindert eine Schädigung der Gebärmutterschleimhaut das Austragen einer Schwangerschaft. Das Gleiche gilt für Frauen* nach invasiven Operationen und Bestrahlungen im Rahmen einer Krebserkrankung oder nach erfolglosen reproduktionsmedizinischen Behandlungen, für einige trans- und intergeschlechtliche Personen und für homosexuelle Männer*paare. Viele dieser Menschen leiden unter der Tatsache, dass ihnen diese Möglichkeit versagt ist. Die Leihmutter*schaft stellt für sie die einzige Möglichkeit dar, ein genetisch verwandtes Kind zu bekommen. Nur Männer*paare haben zusätzlich die Möglichkeit der genetischen Elternschaft über das Co-Parenting.

Der Wunsch, eigene Kinder zu bekommen, ist nachvollziehbar und verständlich. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Leid oder der Wunsch der Auftraggebenden es rechtfertigt, dass eine Frau* die Risiken von Schwangerschaft und Geburt auf sich nimmt. Die Leihmutter*schaft unterscheidet sich in besonderer Weise von der Entscheidung zu einer Eizellspende. Eine Leihmutter* (oder auch Leihgebärende) stellt ihren Körper über mehrere Monate hinweg zur Verfügung. In ihr wächst ein Kind, das sie nach der Geburt abgibt. Im Vorfeld ist es schwierig abzuschätzen, wie sich die Bindung zum Ungeborenen entwickelt und wie sie die Abgabe des Kindes nach der Geburt verkraftet. Zudem sind Schwangerschaft und Geburt mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Diese können auch Auswirkungen auf mögliche Folgeschwangerschaften haben (durch Geburtsverletzungen, Sectio etc.).

Kaum Studien zu den langfristigen Auswirkungen auf Leih*mütter

Da bei der Leihmutter*schaft in den meisten Fällen Eizellen der Auftragseltern oder einer Spender*in verwendet werden, kommen die Risiken der Schwangerschaft nach Eizellspende dazu. So schreibt die Leopoldina 2019 in ihrem Positionspapier für ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz (Seite 66): "Die Häufigkeit einer Präeklampsie [Bluthochdruck, der mit Eiweißverlust und Wassereinlagerungen einhergeht] bei erstgebärenden Frauen beträgt drei bis fünf Prozent. Bei einer Eizellspende ist das Risiko für Komplikationen etwa um den Faktor 2 erhöht. Auch das Risiko für Frühgeburtlichkeit ist bei der Eizellspende gegenüber der IVF-/ICSI-Methode bei Einlingen auch nach Einbeziehung weiterer Faktoren wie dem Alter der Mutter erhöht. Die Risiken steigen bei Mehrlingen zusätzlich."

Besonders im Bereich der kommerziellen Leihmutter*schaft, wie sie in einigen Bundesstaaten der USA, in der Ukraine und anderen Ländern weltweit praktiziert wird, ist es üblich, vertraglich festzulegen, wie sich die Schwangere zu verhalten hat sowie welche Vorsorge- und pränataldiagnostischen Untersuchungen sie in Anspruch nehmen muss. In der Regel wird zumindest ein Teil des Honorars erst nach Geburt und Kindsabgabe ausbezahlt. In den Verträgen geht es kaum um die seelische und körperliche Gesundheit der austragenden Frau*, sondern vielmehr um das optimale "Produkt", nämlich das gesunde Kind, die Zufriedenheit der Wunscheltern und große Profite. Es ist nicht verwunderlich, dass es kaum Studien zu langfristigen Auswirkungen auf die Leihmütter* gibt. Wie verlaufen Folgeschwangerschaften, wie haben sich wiederholte Leihmutter*schaften auf die eigene Familienplanung ausgewirkt, wie viele Frauen* entwickeln Wochenbettdepressionen nach Abgabe des Kindes, und wie sehen sie die Entscheidung Jahre und Jahrzehnte danach? Auf diese Fragen haben wir bisher keine zufriedenstellenden Antworten und können Frauen* im Vorfeld nicht umfassend beraten, um eine selbstbestimmte Entscheidung zu unterstützen.

Da in Deutschland kaum eine Legalisierung der kommerziellen Leihmutter*schaft diskutiert wird, stellt sich eher die Frage, ob die nicht kommerzielle Form einen gangbaren Weg für Deutschland darstellen kann, und ob pro familia ihn als Verband, der für die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung eintritt, mitgehen kann.

In den Niederlanden und in Großbritannien ist diese Form der Leihmutter*schaft erlaubt. In den Niederlanden darf eine Leihmutter*schaft nach abgeschlossener Familienplanung der austragenden Frau* durchgeführt werden. Sie ist zunächst Mutter* des Kindes und entscheidet über die Abgabe nach der Geburt. Die Absichtseltern dürfen selbst eine Leihmutter* im engen Kreis suchen, zum Beispiel unter Angehörigen oder Bekannten. Vermittelnde Agenturen sind nicht erlaubt, genauso wenig wie Internetwerbung. Nur die Übernahme der laufenden Ausgaben der Leihmutter* gilt als legal. Alle Leihmutter*schaftsverträge werden als illegal betrachtet. Diese Gesetzgebung verdeutlicht, dass hier das Wohl der austragenden Frau* und ihre Rechte auf Selbstbestimmung deutlich mehr berücksichtigt werden.

Doch selbst, wenn eine Frau* die Entscheidung nach ausführlicher Beratung und Aufklärung und unter Einhaltung der Selbstbestimmungskriterien trifft, stellen sich folgende Fragen: Soll ein Staat erlauben, dass Menschen zur eigenen Wunscherfüllung die seelische und körperliche Gesundheit, die Fruchtbarkeit und die Fortpflanzungsfähigkeit einer anderen Person aufs Spiel setzen? Kann die altruistische (altruistisch = selbstlos, uneigennützig, aufopfernd) von der kommerziellen Leihmutter*schaft abgegrenzt, werden oder ist sie nicht eher Türöffner für eine nicht rechtebasierte Nutzung? In der Regel werden in Ländern, in denen die "selbstlose" Leihmutter*schaft legal ist, Aufwandsentschädigungen gezahlt. In Großbritannien gibt es Berichte über Zahlungen von umgerechnet 10.000 bis 20.000 Euro. Für Menschen in prekären Situationen, zum Beispiel bei Überschuldung, kann diese Summe durchaus einen großen Anreiz darstellen. "Die Erfahrung aus Großbritannien und anderen Ländern zeigt, dass der Anteil von Leihmüttern, die die Wunscheltern bereits kannten, gering ist. Es ist wenig plausibel, ein Überwiegen des altruistischen Motivs bei fremden Leihmüttern anzunehmen, also dass Frauen für fremde Paare neun Monate ein Kind austragen und die Geburtsschmerzen auf sich nehmen, ohne dass es finanzielle Anreize gibt, die einen solchen psychischen und physischen Aufwand als angemessen erscheinen lassen." (Positionspapier Leopoldina, Seite 84).

Größtes Risiko ist jedoch, dass eine Legalisierung Bedarfe weckt, die im eigenen Land nicht abzudecken sind. Es ist ein Trugschluss, dass eine nicht kommerzielle Legalisierung in Deutschland die Inanspruchnahme in anderen Ländern unterbindet. Ist die "selbstlose" Version erlaubt, können Praxen und Kliniken über kommerzielle Anbieter im Ausland informieren, ohne sich strafbar zu machen. Diese schließen dann bereitwillig die Lücken. So wirbt eine Klinik aus der Ukraine auf der Seite www.leihmutterschaft-zentrum.de: "Garantierte Geburt eines Kindes in den Niederlanden. Rechtliche Erlangung einer Geburtsurkunde in den Niederlanden mit einem vereinfachten Weg zur Legalisierung eines Kindes in den Niederlanden; ist gültig für Paare, Single-Männer, Single-Frauen. In Zusammenarbeit mit unseren Partnern haben wir Remote-Garantieprogramme erfolgreich umgesetzt. Es ist nicht notwendig in die Ukraine zu kommen, um unsere Kunden zu werden." Dies ist nur ein Beispiel unter vielen. Aus diesen und ähnlichen Erfahrungen heraus hat Schweden, ein Land, welches bekannt ist für einen hohen Anspruch an die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, 2018 die Inanspruchnahme einer Leihmutter*schaft verboten, auch Norwegen lehnt sie ab. Als Gründe werden die mögliche Ausnutzung von Frauen* und die Risiken für die austragende Frau* genannt. Schweden stuft die Leihmutter*schaft als Kinderhandel ein.

Fazit: Die Risiken sind zu groß

Aus oben angeführten Gründen haben wir uns in unserem Positionspapier "Für eine rechtebasierte Fortpflanzungsmedizin" gegen eine Legalisierung der Leihmutter*schaft ausgesprochen. Uns ist durchaus bewusst, dass ein Verbot der Leihmutter*schaft körperliche, sexuelle und reproduktive Rechte ansonsten einwilligungsfähiger Menschen beschneidet. Aber bei allem Verständnis für Wunsch und Leid der Wunscheltern denken wir, dass die körperlichen und seelischen Risiken vor allem für die austragende Frau* zu groß sind.

Über die Autorinnen:

Dorothee Kleinschmidt ist Ärztin und Familientherapeutin und bei pro familia Bochum sowie im Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland tätig.

Gabrielle Stöcker ist Frauenärztin und systemische Beraterin und arbeitet bei pro familia Köln. Sie ist Sprecherin des Medizinischen Arbeitskreises von pro familia NRW.


Weitere Beiträge aus dem pro familia magazin 1|2022 zum Thema "Reproduktionsmedizin" finden Sie im Schattenblick unter:

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REPRODUKTIONSMEDIZIN/161: Zur Notwendigkeit eines Fortpflanzungsmedizingesetzes (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/162: Klinischer Alltag in der Reproduktionsmedizin (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/163: Für eine rechtebasierte Fortpflanzungsmedizin (pro familia)
REPRODUKTIONSMEDIZIN/165: Debatte - Legalisierung der Leihmutterschaft in Deutschland als Chance (pro familia)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/ip_medizin_fachmed_reproduktionsmedizin.shtml

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 1|2022, S. 19-20
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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