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ITALIEN/420: Hektische Auseinandersetzung in faschistischer Koalition vor Parlamentskonstituierung (Gerhard Feldbauer)


Vor Konstituierung des Parlaments

Hektische Auseinandersetzung in faschistischer Koalition
Führerin der Brüder Italiens, Giorgia Meloni, erwartet Berufung zur Ministerpräsidentin

von Gerhard Feldbauer, 13. Oktober 2022


Am Donnerstag tritt das am 25. September neu gewählte Parlament zu seiner Konstituierung zusammen, um in Abgeordnetenkammer und Senat die Präsidenten zu wählen. Danach wird Staatspräsident Sergio Mattarella die im Parlament vertretenen Partei-Chefs zur Berufung eines neuen Regierungschefs bzw. einer -chefin konsultieren. Es wird eine kurze formale Prozedur erwartet, denn die Ernennung der Führerin der faschistischen Brüder Italiens (FdI) Giorgia Meloni dürfte feststehen. Mit ihr würde die 66. Regierung der Nachkriegsgeschichte Italiens von einer Frau geführt.

Bei der hektischen Auseinandersetzung, die noch am Mittwoch andauerte, ging es laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA um die Wahl der Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats und die Zusammensetzung der Regierung, darunter vor allem der sensiblen Ministerien wie Inneres, Wirtschaft und Finanzen, Verteidigung oder Umwelt und Klima. Streitpunkt war vor allem die Forderung Berlusconis, den Vorsitz im Senat zu erhalten oder als Ersatz ein Ministeramt. Salvini hatte die Rückkehr ins Innenministerium, das er von 2018/19 innehatte, gefordert, wenn nicht den Posten des Vize-Premiers.

Lega-Vize Giancarlo Giorgetto hatte schweres Geschütz aufgefahren und gedroht, wenn die Forderungen nicht erfüllt würden, trete die Lega nicht in die Regierung ein und werde sie nur im Parlament unterstützen. Das einflussreiche linksliberale Fatto Quotidiano hatte gemeint, Meloni werde "dem Staatspräsidenten, der die Ministervorschläge absegnen muss, wohl keinen Innenminister präsentieren, der wegen der Aussperrung von Rettungsschiffen und Amtsmissbrauch noch unter Anklage steht". Das Gleiche treffe auf Berlusconi zu, gegen den noch ein Prozess wegen Zeugenbestechung im Fall seiner Sex-Orgien mit minderjährigen Prostituierten läuft.

Wie ANSA am Mittwoch zu entnehmen war, hat Meloni sich wohl durchgesetzt und vermeldet, Salvini werde nicht das Innenministerium erhalten, aber seine engste Mitstreiterin Licia Ronzulli das Gesundheitsministerium. Sein Vize Giancarlo Giorgetti sei als Wirtschafts- oder Verteidigungsminister im Gespräch. Zwischendurch hatte Salvini erklären lassen, dass die Lega das Ministerium für regionale Angelegenheiten, Autonomie und Reformen erhalten wolle, das "ein Garant der Stabilität für die Regierung und für das Land" sei, da "Autonomie und Präsidentialismus im Mitte-Rechts-Wahlprogramm zentrale Themen sind". Aber es werde, so ANSA, nicht ohne Techniker gehen, so sei Fabio Panetta, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, im Gespräch. Es sei "ein hochkarätiges Team", tönte Meloni, die jedoch keine Namen nannte. Berlusconi warte auf seine Berufung als Präsident des Senats, aber Meloni könnte auch Roberto Calderoli von ihrer FdI ins Amt bringen. Bis zuletzt bleiben also Fragen offen.

Noch-Premier Draghi betonte laut dem Mailänder Corriere della Sera, er überlasse der nächsten Regierung ein "geordnetes Haus", seine Regierung habe "die Zielvorgaben des Wiederaufbauplans erfüllt". Das linke Magazin Contropiano verwies in seinem Online-Portal darauf, dass Meloni inzwischen eine Kehrtwende zur EU vollzogen habe und ihre wirtschaftspolitische Agenda offenbare. So habe sie "kein Interesse daran, die Erfüllung der europäischer Auflagen, die Teil des gewöhnlichen Zyklus des Mehrjahreshaushalts sind, in Frage zu stellen", da das die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung untergrabe. Selbst die Ratingagentur Fitch meinte, dass Meloni den EU-Wiederherstellungsplan kaum in Frage stellen werde, da sie ihn brauche, um zu wachsen, und es gebe "wenig Raum, ihn zu ändern". Meloni dürfte klar sein, dass diese "Herangehensweise sowohl für "das Wachstum als auch für die Marktstimmung wichtig" ist.

Wie ANSA am Donnerstag berichtet, hielten die Auseinandersetzungen in der faschistischen Koalition über die Wahl der Präsidenten beider Kammern "unter starken Spannungen an". Giorgia Meloni "erwarte im Senat ein kompaktes Mehrheitsvotum für Ignazio La Russa, wohlwissend, dass die Mitte-Rechts-Partei sonst mit dem falschen Fuß ins Regierungsabenteuer startet", so ANSA. La Russa, in Berlusconis letzter Regierung Verteidigungsminister, war mit ihr 2012 Mitbegründer der FdI. Berlusconi beharre dagegen weiter darauf, dass er in den Senat einzieht, dessen Vorsitz - wie auch das Innenministerium - weiterhin auch die Lega fordere. Die Anführerin der FdI habe nicht die Absicht, Berlusconi dafür "mit einem wichtigen Ministerium für seine Getreuen zu erfreuen".

Sie wolle auch den Vorsitz im Abgeordnetenhaus, der traditionell der Opposition überlassen wird und an die Lega gehen könnte, nicht abgeben. Auch die Einbeziehung von Technikern in die Regierung "läge weiter auf dem Tisch". Der Abschluss der Wahl wird nicht vor Freitag erwartet, aber danach werde Präsident Mattarella spätestens Samstag mit seinen Konsultationen beginnen. Bereits am Montag wolle Meloni dann ihre Regierung vorstellen, um am 24. Oktober ins Amt zu kommen. Sie will laut Medien unbedingt vermeiden, dass sie um den 28. Oktober (Jahrestag des Marsches Mussolinis auf Rom) vereidigt wird.

Laut Vatican News hat Papst Franziskus die Verfolgung von Migranten durch Meloni als "ekelhaft, sündig und kriminell" verurteilt. Sie würden weggeschickt und "landeten in Lagern, wo sie ausgebeutet und als Sklaven verkauft" werden. Das Mittelmeer sei dadurch "zum größten Friedhof der Welt" geworden. Es ist eine späte, zu späte Erkenntnis. Denn in der Wahlkampagne hatte Franziskus gegen die sich als Christin, Gegnerin der Abtreibung und der Homo-Ehen gebärdende Meloni nichts einzuwenden gehabt.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 13. Oktober 2022

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