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ITALIEN/405: Draghis Chefsessel wackelt - im Herbst drohen vorgezogene Neuwahlen (Gerhard Feldbauer)


Draghis Chefsessel wackelt

Nach dem Ausscheiden der Sternepartei aus der Regierung drohen im Herbst vorgezogene Wahlen

von Gerhard Feldbauer, 5. Juli 2022


Ein für Montag anberaumtes Treffen zwischen Premier Mario Draghi und dem Vorsitzenden der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Ex-Premier Giuseppe Conte, das den offenen Ausbruch einer Regierungskrise und eine vorgezogene Parlamentswahl im Herbst verhindern sollte, wurde wegen der Reise des Premiers zu den Opfern der Gletscherkatastrophe abgesagt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA. Ein neuer Termin wurde für Mittwoch anberaumt. Man hoffe, schrieb Manifesto am Dienstag, dass M5S-Gründer Grillo Conte, der aus der Regierung austreten will, dazu bringt zurückzurudern, weil der PD inzwischen angekündigt hat, bei Wahlen bei einem Austritt von M5S aus der Regierung das Bündnis aufzukündigen. "Der Ausstieg der M5S aus der Mehrheit bleibt so eine unwahrscheinliche Hypothese, denn es würde starke Nerven und eine große Portion politischen Mutes erfordern, Fähigkeiten, die in der vom Erdbeben gebeutelten Bewegung durch Di Maios Spaltung Mangelware sind", so das linke Blatt.

Ausgelöst wurde die Auseinandersetzung durch die parteiinternen Auseinandersetzungen in der Sternepartei über die Haltung der Regierung zum Ukraine-Krieg, in der Conte forderte, keine Waffen mehr in die Ukraine zu schicken und eine Verhandlungslösung zu unterstützen. In der zweiten Juni-Woche beschloss der Senat, als Kompromiss "militärische Deeskalationsinitiativen" zu unterstützen und entschied, dass die Parlamentskammern bei Entscheidungen der Regierung "beim Verkauf und der Lieferung von Militärgütern" konsultiert werden. Außenminister Luigi Di Maio, der seit Kriegsbeginn forderte, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij müsse bis zum Sieg über Russland unterstützt werden, nannte die Forderung des M5S-Chefs eine "Ambiguität", die Partei sei so nicht "ausreichend euroatlantisch". Zwar stimmte er mit seiner rechten Fraktion noch für den Beschluss, gab aber unmittelbar nach Ende der Senatssitzung seinen Bruch mit der Partei bekannt. Er verließ mit über 60 Abgeordneten und Senatoren die Partei und gründete mit ihnen eine neue Partei "Insieme per il futuro - Ipf" (Gemeinsam für die Zukunft), damit M5S "nicht mehr die stärkste Kraft im Parlament" sei.

Es folgte ein kaum zu beschreibendes Hick Hack: In der geschrumpften Sternepartei drängte laut Manifesto "ein erheblicher Teil der M5S-Parlamentarier, nach eigenen Angaben sogar 70-80%, Conte zum Bruch mit Draghi". Staatspräsident Mattarella warnte daraufhin, "der Ausstieg der 5S-Minister aus der Regierung führe direkt zu Wahlen im November" (die planmäßig im Frühjahr stattfinden). Die schwelende Regierungskrise verschärfte sich, als Draghi von M5S-Gründer Grillo, der neben oder über Parteichef Conte als "Garant" der Bewegung fungiert, gefordert habe, diesen abzusetzen. Grillo wies das zurück, erklärte zwar die Bereitschaft, in der Regierung zu verbleiben, warnte aber gleichzeitig, "versuchen Sie nicht, uns durch Di Maio zu ersetzen, dann werden wir nicht mehr in der Regierung bleiben". Er sprach aber auch von einer nur "externen Unterstützung" als einer "dritten Version".

Conte erklärte, er bleibe Vorsitzender von M5S und betonte: "Die Bewegung wird die erste politische Kraft bleiben, die sich mit allen Themen befasst, von sozialer Gerechtigkeit bis zum ökologischen Übergang, die Teil des Rückgrats der 5-Sterne-Bewegung" seien. Danach hatte sich Draghi zu Wort gemeldet und versichert, er habe nicht die Absicht, "eine Regierung mit einer anderen Mehrheit zu bilden". Er denke nicht an "eine Regierung ohne die 5 Sterne", werde sich aber "mit externer Unterstützung nicht zufriedengeben", dazu schätze er ihren Beitrag "zu sehr". Gleichzeitig wiederholte er, es sei seine letzte Amtszeit als Regierungschef.

Um auf Nummer sicher zu gehen, bauen Spitzenkreise des Kapitals wohl bereits eine Notfallbremse ein. Da Draghi es nicht nochmal machen will, war davon die Rede, der Präsident der Banca d'Italia (Staatsbank), Ignazio Visco, trete zurück, wie Beobachter in Rom meinten, um Draghis Nachfolge anzutreten. Zwar wurde das umgehend dementiert, wird aber weiterhin vor allem in Brüssel als eine gut geheißene Alternative gesehen.

Den Hintergrund der Auseinandersetzungen bildet die Stichwahl der Bürgermeister- und Kommunalwahlen am 26. Juni, bei der die Faschisten, vor allem der Brüder Italiens (FdI) von Giorgio Meloni, eine knappe Niederlage einstecken mussten, aber auch M5S in einer Reihe von Gemeinden auf 2 % absackte. Meloni liegt dennoch in Umfragen zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 mit 21,5 % auf dem 1. Platz, gefolgt vom PD mit 21,3 %, und spielt immer noch mit dem Gedanken, Draghi durch den von ihr geforderten Austritt der Minister der Lega und der Forza Italia (FI) Berlusconis zu Fall zu bringen, um die Wahlen vorzuziehen. Das will die geschrumpfte M5S auf jeden Fall vermeiden und auch der PD möchte dieses Risiko nicht eingehen.

Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank Draghi hatte im Januar 2021 eine so genannte Regierung "der nationalen Einheit" aus den sich "Mitte links" apostrophierenden Parteien des sozialdemokratischen Partito Democatico (PD), der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und den Freien und Gleichen (LeU) zusammen mit den Faschisten der Lega und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi zusammengezimmert. Er war als Garant der Stabilität, der den ständigen Forderungen nach vorgezogenen Wahlen ein Ende bereitet und die Existenz der Regierung bis zu den planmäßigen Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 sichert, als Super-Mario gefeiert worden. Nun wackelt auch für ihn der Chefsessel im Palazzo Chigi, dem Regierungssitz.

Beobachter in Rom rechnen damit, dass am Mittwoch nochmal ein Flickenteppich gewebt wird, der die schwelende Regierungskrise verdeckt. Ob er bis zur planmäßigen Wahl im Frühjahr 2023 hält, ist ungewiss.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Juli 2022

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