Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/396: Sanktionsfront bröckelt - Italien bezieht weiter Gas aus Russland (Gerhard Feldbauer)


Italien bezieht weiter Gas aus Russland

Schert Rom aus der Sanktionsfront aus?

von Gerhard Feldbauer, 30. Mai 2022


Nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA hat der russische Präsident Putin in einem Telefonat, das Draghi mit ihm führte, zugesichert, Italien werde weiter "ununterbrochen Gas geliefert erhalten". Die Wirtschaftszeitung Milano Finanze, die darüber wie die meisten großen Medien berichtete, schrieb, "Gazprom wird Italien die Gashähne also nicht zudrehen" und vermerkte, dass der Energiekonzern mit staatlicher Beteiligung ENI vorher, der russischen Forderung entsprechend, damit begonnen habe, "nach dem Mechanismus der beiden K-Konten zu zahlen: in Euro auf dem ersten und anschließende Umwandlung in Rubel im zweiten". Schert Rom damit aus der Sanktionsfront aus? Zumindest was das Gasembargo betrifft, scheint es dem ungarischen Beispiel folgen zu wollen.

So richtig hat Italien von Anfang an nicht mitgezogen. Führende Wirtschaftskreise waren nicht bereit, die von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen, zumindest was Gas betrifft, mitzutragen. Den Hintergrund bildete, dass Italiens Energieverbrauch zu rund 40 Prozent aus Erdgas besteht, was jährlich 76 Milliarden Kubikmeter ausmacht, von denen es rund 30 Milliarden aus Russland bezieht. Der wirtschaftserfahrene frühere EZB-Chef Draghi räumte angesichts dieser Abhängigkeit schon im März ein, dass die Sanktionen gegen Russland "schwere Auswirkungen auf Unternehmen" und "vor allem auf die Aufrechterhaltung ihrer Produktion haben" würden. Der italienische Ministerpräsident befürchtete gar, die Situation könnte, "wenn sie nicht angegangen wird, die EU zerbrechen, das Wirtschaftssystem in Richtung Protektionismus drängen". Der Präsident des Industriellenverbandes Confindustria, Carlo Bonomi, sekundierte, die Auswirkungen der Sanktionen könnten "die italienische Industrieproduktion zum Erliegen bringen".

Die Zahlen sprachen eine deutliche Sprache: Die italienische Industrieproduktion ging im ersten Quartal 2022 im Vergleich zum vierten Quartal 2021 um 2,9 Prozent zurück. Infolge der explodierenden Rohstoff- und Energiekosten mussten 16 Prozent aller Unternehmen die Produktion reduzieren oder ganz einstellen. 30 Prozent, so warnte eine Confindustria-Analyse, drohe das gleiche Schicksal. Wie der Verband der Großindustriellen mitteilte, führte die Einhaltung der gegen Russland verhängten Sanktionen dazu, dass 447 italienische Unternehmen, "die einen Umsatz von 7,4 Milliarden eingefahren haben" und deren Anlagenbestand über 11 Milliarden Euro betrug, ihre Tätigkeit in Russland einstellen mussten.

Verhandlungen mit Algerien über eine Erhöhungen der Lieferungen zeigten rasch, dass ein Ersatz der ausfallenden Gasprom-Lieferungen Jahre dauern würde. Der staatliche algerische Mineralölkonzern Sonatrach konnte eine Erhöhung seiner Gas-Lieferungen nach Italien nur auf bis zu 9 Milliarden Kubikmeter zusagen, von denen sofort nur drei Milliarden geliefert werden konnten, sechs erst 2023.

Ob die Absprachen funktionieren, bleibt abzuwarten. Die Gasflüsse bleiben "gering", berichtete Milano Finanze. "Ungeachtet von Putins Zusicherungen liegen die aus Russland gelieferten Gasmengen weiterhin um mindestens 40 % unter dem Durchschnitt des Zeitraums." Das dürfte mit Draghis Vorschlag an Putin zusammenhängen, eine erste Friedensinitiative zu prüfen, die Häfen am Schwarzen Meer für Weizenlieferungen freizugeben, die, so Putins Antwort, "mit der Aufhebung der Sanktionen" erfolgen werde. Offensichtlich wartet der Kreml-Chef ab, wie Draghi sich dazu verhalten wird.

*

Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. Mai 2022

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang